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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Chance erhöht hätte, dass Wasser in den Sarg eingedrungen ist. Mein Großvater – der die Beerdigung damals arrangiert hat – ist offensichtlich jemand, der den Grund für die Verwendung von Grabgewölben in Amerika kennt. Im neunzehnten Jahrhundert mussten Bewerber, um zum Studium der Medizin an den amerikanischen Universitäten zugelassen zu werden, einen Leichnam stiften. Dies führte zu einer großen Zahl von Leichendiebstählen. Das Sarggewölbe wurde als Mittel zur Verhinderung von Grabräuberei eingesetzt, weil zwei oder drei starke Männer erforderlich sind, um den Deckel anzuheben. Heutzutage kaufen die meisten Leute Sarggewölbe, um das Eindringen von Grundwasser zu verhindern, doch das ist nur teilweise erfolgreich. Andererseits ist die Ewigkeit eine lange Zeit. Wasser hat den Grand Canyon aus dem Fels gegraben, und es kann, genügend Zeit vorausgesetzt, alles durchdringen, was Menschenhand geschaffen hat. Großvater sah keinen Grund, gutes Geld für eine vorbeugende Maßnahme zu verschwenden, die nur temporär sein kann.
    Allerdings kaufte er den besten Bronzesarg, der für Geld erhältlich war – wahrscheinlich, um seine Freunde zu beeindrucken und den Schmerz meiner untröstlichen Mutter zu lindern. Dieses Modell hier besitzt eine Gummilippe, die es den Verwesungsgasen gestattet, aus dem Sarg zu entweichen, und zugleich den Eintritt von Feuchtigkeit verhindert. Daher besteht die nicht abwegige Chance, dass ich keine Horrorshow ertragen muss, wenn der Deckel geöffnet wird.
    Ich habe den Morgen damit verbracht zuzusehen, wie der Erdhügel neben dem Grab allmählich gewachsen ist. Im Verlauf der Jahre habe ich dieses Grab so oft besucht, wie es mir nur möglich war. Es ist weniger Erde, als ich erwartet hätte. Gräber sind heutzutage nicht mehr einen Meter achtzig tief. Nach dem Gesetz sind über dem Sargdeckel lediglich sechzig Zentimeter Erde erforderlich – gerade ausreichend, um zuverhindern, dass wilde Hunde die Leichen ausgraben, nachdem die Trauernden verschwunden sind.
    Einer der Totengräber im Loch ruft nach einem Werkzeug namens Krähenfuß. Ein anderer Mann mit einer roten Bandana bringt einen anderthalb Meter langen Stab mit einem flachen Winkel zum Grab. Ich nähere mich dem Loch ein paar Schritte und beobachte, wie der erste Mann den Winkel unter ein Ende vom Sarg meines Vaters schiebt.
    »Man muss das Vakuum durchbrechen, verstehen Sie?«, sagt Mr. McDonough, der zu mir gekommen ist. »Der Sarg liegt all die Jahre dort und drückt sich richtig fest ins Erdreich. Sobald die Saugwirkung durchbrochen ist, kann man ihn ohne Probleme hochziehen.«
    Der Sarg löst sich mit einem saugenden Schmatzen, als würde man den Deckel einer Tupperware-Dose öffnen, in der irgendein Lebensmittel gealtert ist. Die Totengräber klettern jetzt hinunter in das Loch und schieben breite Bänder unter die Sargenden, deren jeweilige Enden sie mit einem Flaschenzug verbinden. Nach vereinten Anstrengungen von Mensch und Maschine liegt der lange bronzene Sarg kurze Zeit später auf dem Gras neben dem Loch. Obwohl das Metall mit brauner Erde bedeckt ist, glänzt der Sarg wie etwas, das aus einem ägyptischen Pharaonengrab geborgen wurde.
    Mr. McDonough signalisiert dem Fahrer des Baggers, so nah an die störende Mauer heranzufahren, wie nur irgend möglich. Als der Fahrer den Dieselmotor hochdrehen lässt, bitte ich McDonough, noch einen Augenblick zu warten.
    »Stimmt etwas nicht, Mrs. Ferry?«
    »Ich möchte den Sarg erst öffnen.«
    Mr. McDonough ist offensichtlich verwirrt angesichts meiner Bitte. »Was denn, hier draußen in der Sonne?«
    »Es geschieht routinemäßig, wenn dna-Proben genommen werden.«
    Der Leichenbestatter ist darin geübt, einen unerschütterlichen Eindruck zu erwecken, doch meine Aggressivitätgegenüber den Toten ist offensichtlich nicht nach seinem Geschmack. »Also, ich habe das jedenfalls noch nie gemacht«, sagt er schließlich.
    »Trotzdem.«
    Er zuckt resignierend die Schultern. »Der Leichnam gehört der Familie. Sie können damit machen, was Sie wollen. Ich mache den Sarg für Sie auf.«
    »Danke sehr.«
    Er nimmt einen Sechskantschlüssel aus der Tasche, beugt sich über das Fußende des Sargs und macht sich daran, eine in einer Vertiefung liegende Mutter aufzudrehen. Erneut ertönt das Tupperware-Geräusch, doch zehnmal lauter als vorhin, ein langes, langsames Entweichen von Überdruck, der den chemischen Geruch von Balsamierungsflüssigkeit mit sich bringt.
    Ich habe

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