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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Wahrheit. Und die Wahrheit liegt in Daddys Sarg.«
    Ihre Augenlider flattern. »Warum glaubst du das? Was kann Lukes Leichnam dir verraten?«
    »Ich bin nicht sicher. Vielleicht ist Lena die Antwort. In meinem Traum hat Daddy versucht, mir etwas über Lena zu sagen, und ich muss herausfinden, was es ist.«
    »Glaubst du das wirklich? Dass er versucht hat, dir etwas zu sagen?«
    »Nein. Ich glaube, ich habe in der Nacht von Daddys Tod etwas gesehen. Ich habe etwas gesehen und die Erinnerung daran verdrängt. Und ich werde mich nicht erinnern, bevor ich diesen Sarg nicht geöffnet und einen Blick hineingeworfen habe. Vielleicht nicht einmal dann. Vielleicht ist eine Wiederholung der Autopsie erforderlich. Aber, Mom … Ich kann das alles nicht ohne deine Hilfe.«
    Sie senkt den Blick, und Angst kämpft gegen etwas Neuesin ihren Augen. »Luke war so ein lieber Mann«, murmelt sie leise. »Was immer er in Übersee durchgemacht hat, es hat ihn schlimm verletzt. Trotzdem war es unsere Familie, die ihn auf dem Gewissen hat.«
    Ich warte, doch sie schweigt. »Mom?«, frage ich schließlich. »Wirst du mir helfen?«
    Als sie den Blick wieder hebt und mich ansieht, erkenne ich etwas in ihren Augen, das ich als Kind niemals darin gesehen habe.
    Entschlossenheit.
    »Sag mir, was ich tun soll«, flüstert sie.

55
    D ie Totengräber sind seit mehr als zwei Stunden bei der Arbeit. Ihre schweißgetränkten Rücken sind über Schaufeln und Spaten gebeugt, und die Hitze ist bereits jetzt, um elf Uhr vormittags, kaum noch auszuhalten. Es sind sechs Männer, ältere, muskulöse Schwarze in Khaki-Overalls. Sie graben langsam, aber stetig, wie Langstreckenläufer, und auf ihren Unterarmen zeichnen sich harte Muskeln ab. Jede halbe Stunde legen sie eine Zigarettenpause ein. Dann ziehen sie sich hinter eine Mauer zurück und teilen sich ihre Kools mit dem Baggerführer, der wie ein Imperator auf seiner gelben Maschine sitzt und darauf wartet, dass er den Sarg die letzten Meter zum Lieferwagen des Bestatters transportieren kann. Weil unser Familiengrab im ältesten, dicht mit Bäumen bestandenen Teil des Friedhofs steht, ist der Platz zu eng, und der Bagger kann nicht beim Graben helfen. Doch die sechs Männer haben den Sarg inzwischen freigelegt. Der brünierte Deckel glänzt stumpf in der Sonne. Die Totengräber weiten das Loch, um Seile unter dem Sarg hindurchzuschieben, und bald wird der Bagger ansTageslicht hieven, was für die Ewigkeit hätte begraben bleiben sollen.
    Neunzig Minuten konzentrierter Bemühungen waren erforderlich, um die Exhumierung anzustrengen. Zuerst war ich mit meiner Mutter im Wall Street Office von Michael Wells’ Anwalt, der sein Frühstück stehen ließ, um uns zu treffen und die eidesstattliche Erklärung zu formulieren. Anschließend gingen wir über die Straße ins Gerichtsgebäude und ließen die Erklärung von einem Vormundschaftsrichter beglaubigen, der gleichzeitig einen einseitigen Gerichtsbeschluss unterschrieb, in dem er die Exhumierung und wiederholte Autopsie von Luke Ferry autorisierte. Mit dem Gerichtsbeschluss in der Hand ließ ich Mutter vor ihrem Geschäft aussteigen und rief beim Leichenbestatter an, beim Direktor des Friedhofsamts und beim Amtsarzt in Jackson. Dessen Büro war so hilfsbereit, dass in mir der Verdacht aufstieg, sie hätten vorab einen Anruf von Special Agent John Kaiser vom fbi erhalten.
    Wie in Mississippi allgemein üblich, ist der Leichenbestatter bei der Exhumierung anwesend. Mr. McDonough ist ein freundlicher Mann mit frischer, roter Gesichtsfarbe. Er ist vielleicht siebzig Jahre alt und hat seit nahezu fünfzig Jahren ein Quasi-Monopol für das Beerdigungsgeschäft der Weißen in Natchez. Er steht in Hemdsärmeln im Schatten, und das schwarze Anzugjackett hängt gefaltet über einer Mauer. Er hat versucht, mir meine Absicht auszureden, »die Überreste« anzusehen, wie er es nennt. Ich habe versucht, ihn dadurch zu beruhigen, dass ich ihm von meiner beträchtlichen Erfahrung mit Tod und Autopsien berichte, doch er hat nur geseufzt und gesagt: »Ganz gleich, wie viel Erfahrung Sie haben, wenn es sich um einen Familienangehörigen handelt, ist es etwas anderes.«
    Ich werde es in wenigen Minuten wissen.
    Meine Bedenken gelten hauptsächlich dem Zustand der Leiche meines Vaters. Mr. McDonough hat am Morgen in seinen Aufzeichnungen nachgesehen und festgestellt, dassDaddys Sarg nicht in einer Gruft beerdigt wurde, was den Exhumierungsprozess vereinfacht und zugleich die

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