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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Einbrecher. Also blieb ich hier in diesem Haus, es sei denn, Dr. Kirkland oder Mrs. Catherine riefen nach mir.«
    Im Nachhinein erscheint alles so offensichtlich. Was fehlt,ist der historische Kontext. Die Vorstellung, dass Dr. Kirkland, der geachtete Chirurg und Ausbund an Tugend, nächtens durch sein Vorbürgerkriegs-Herrenhaus schleichen und seine eigenen Töchter sexuell belästigen könnte, war vor vierzig Jahren schlichtweg undenkbar.
    »Was ist mit der Insel?«, frage ich.
    Pearlie rutscht unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. »Was soll damit sein?«
    »Glaubst du, dass er sich auch auf der Insel an Kindern vergangen hat?«
    »Wenn er das getan hat, dann hat es mir niemand gesagt.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich die Insel verlassen habe und nie wieder dorthin zurückgekehrt bin. Ich wurde zu einem Hausnigger. Die anderen dachten, ich wäre Dr. Kirklands Sklavin, die er gekauft und für die er bezahlt hatte.«
    »Warum bist du nie wieder zur Insel gefahren?«
    Pearlie blickt mich an, und in ihren Augen leuchtet Verachtung. »Was glaubst du denn, Mädchen? Es gab einen Mann auf der Insel, von dem ich mich fern halten musste.«
    »Wer?«
    »Mein Onkel.«
    »Warum musstest du dich von ihm fern halten?«
    Pearlie schnaubt. »Was glaubst du denn? Die gleichen Probleme wie diese hier.«
    »Sexueller Missbrauch?«
    »Auf der Insel nennen sie es nicht so. Auf der Insel nennen sie es ›zureiten‹. Die Männer jedenfalls nennen es so, und einige der Frauen ebenfalls. Ich wurde von meinem Onkel ›zugeritten‹, als ich noch keine zwölf war. Er wollte mich einfach nicht in Ruhe lassen. Wäre er nicht für eine Weile ins Gefängnis gekommen, wäre ich vielleicht schwanger geworden oder Schlimmeres. Deswegen habe ich die erste Chance ergriffen, von der Insel zu verschwinden.«
    Von irgendwo aus meinem Unterbewusstsein steigt einneues Bild auf. Ein kleines schwarzes Mädchen auf einer Geröllpiste. Aus der flirrenden Hitze taucht ein orangefarbener Pick-up auf, und der Mann, der Vater und Mutter des Mädchens bezahlt, bietet ihm an mitzufahren …
    »Ivy hat dir nie Geschichten erzählt?«, frage ich. »Nichts, was dich misstrauisch gemacht hätte? Selbst ich habe erzählen hören, wie Kinder davor gewarnt wurden, des Nachts allein über die Straßen zu laufen.«
    Pearlie faltet die Hände auf dem Tisch. »Baby Girl, ein Mann mit einer derartigen Neigung hört einfach nicht auf damit. Er nimmt sich, was er braucht, wann immer er kann. Ich sage dir noch etwas. Ich glaube, die Frauen auf der Insel wissen Bescheid. Das ist der Grund, warum sie ihren Kindern Spukgeschichten erzählen. Damit die Kinder sich von der Straße fern halten. Aber sie erzählen ihren Ehemännern nichts, darauf kannst du wetten. Sie wollen nicht, dass ihre Männer nach Angola in den Todestrakt gesteckt werden, weil sie den Boss umgebracht haben.«
    »Weißt du das mit Sicherheit, Pearlie? Oder ist das nur eine Vermutung?«
    Sie zuckt die Schultern. »Was macht es für einen Unterschied?«
    »Vor einem Gericht macht es einen ganz gewaltigen Unterschied.«
    Sie stößt verächtlich den Atem aus. »Pah! Niemand bringt Dr. Kirkland vor ein Gericht! Er ist viel zu gerissen und zu reich! Männer wie Dr. Kirkland gehen nicht ins Gefängnis. Das solltest du inzwischen wissen, Mädchen!«
    »Die Zeiten haben sich seit deiner Jugend geändert, Pearlie.«
    Ein trockenes Lachen dringt über ihre Lippen. »Glaubst du wirklich?«
    »Ja.«
    »Dann bist du doch nicht so gescheit, wie ich immer dachte.«
    Pearlies Zynismus ärgert mich gewaltig. Wären alle Frauen wie sie, wären wir immer noch Leibeigene der Männer und keine Bürger. Auf der anderen Seite … ich bin in einer sehr viel privilegierteren Welt aufgewachsen als Pearlie.
    »Du hast meine erste Frage nicht beantwortet, Pearlie. Warum warst du gestern auf der Insel?«
    Ihre Schultern sacken herab. »Vor ein paar Jahren ist eine Familie ziemlich schnell von der Insel weggezogen. Ich habe erst später davon erfahren. Sie hatten ein Kind, ein vierjähriges Mädchen. Sie haben zusammengepackt und sind ohne ein Wort verschwunden. Ich wollte herausfinden, ob es wegen Dr. Kirkland war.«
    »Hast du?«
    Sie inhaliert den Rauch ihrer Zigarette, als würde sie den Nektar der Götter trinken, dann hält sie den Rauch so lange in der Lunge, wie es ihr möglich ist, bevor sie die blaue Wolke wieder ausstößt. »Nein«, sagt sie schließlich. »Niemand wollte darüber reden. Sie haben alle Angst.«
    »War das

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