Bisswunden
Sie leider zurückrufen.«
»Zuerst hast du auf ihn geschossen. Und dann, als er nicht schnell genug starb, hast du ihm mein Lieblings-Stofftier in den Mund gestopft, um ihn zum Schweigen zu bringen. Und ihm mit den Fingern die Nase zugehalten, damit er erstickt.«
In der gleichen Zeit, die Großvater benötigt, um einzuhängen, verwandeln seine Augen sich vom gütigen Blau eines liebevollen Großvaters zu den kalten, gefühllosen Schlitzen eines Wolfes, der Gefahr wittert. Die Verwandlung lässt mein Bluterstarren. Ich habe dieses Gesicht noch nie zuvor an meinem Großvater gesehen, und doch erkenne ich es wieder. Es ist sein wirkliches Gesicht – das Gesicht des Mannes, der in mich eingedrungen ist, als ich noch ein kleines Mädchen war.
»Bist du etwa verdrahtet?«, fragt er unvermittelt.
Ich schüttle den Kopf.
Er glaubt mir nicht. Aus irgendeinem Grund lässt das eine Woge von Wut in mir aufsteigen. »Willst du, dass ich mich vor dir ausziehe?« Ich fange an, mein Oberteil aufzuknöpfen. »Es ist schließlich nicht so, als hättest du mich noch nie nackt gesehen, nicht wahr?«
»Hör auf damit!«, sagt er schroff. Dann gibt er Billy Neal einen Wink.
Der Fahrer nimmt etwas von einem der Regale und kommt auf mich zu. Es ist ein schwarzer Metallstab ähnlich denen, die auf Flughäfen und in Gerichtsgebäuden benutzt werden, um nach verborgenen Waffen zu suchen. Er fährt damit an mir auf und ab und hält sich in der Gegend meines Schritts länger als nötig auf.
»Sie ist sauber«, sagt er schließlich. Er kehrt zur Tür zurück und stellt sich daneben auf wie ein Wachhund.
»Was weißt du darüber? «, fragt Großvater und deutet auf die gegenüberliegende Wand.
Zu meinem Erstaunen sehe ich dutzende von Büchern verstreut auf dem Boden liegen, als hätte jemand sie bei einer hastigen Suche aus dem Regal gefegt. In meinem Kopf höre ich Pearlies Worte. Ich hab nach weiteren Bildern von dieser Sorte gesucht … aber bis jetzt hab ich noch keine gefunden …
»Mäuse?«, frage ich mit ausdrucksloser Stimme.
Er will zu einer Antwort ansetzen, dann verwirft er das ganze Thema offensichtlich als seiner Mühen nicht wert. »Also schön. Ich habe dir gesagt, dass ich zu tun habe. Gibt es sonst noch etwas?«
Seine Arroganz ist unglaublich. »Hast du mich nicht verstanden? Ich kann beweisen, dass du meinen Vater ermordet hast!Ich kann außerdem beweisen, dass du Tante Ann sexuell missbraucht hast. Und Schlimmeres.«
Er winkt beiläufig ab. »Das ist ja lächerlich.«
»Ich habe Beweise.«
»Blutige Fußabdrücke vom Boden deines Zimmers? Ich habe dir bereits erklärt, woher sie stammen.«
»Ich habe eine Menge mehr als nur Fußabdrücke.« Ich würde ihm gerne von meiner Unterhaltung mit Pearlie erzählen, doch ich darf sie nicht in Gefahr bringen. »Und ich erinnere mich jeden Tag an neue Einzelheiten. Ich weiß jetzt auch, was du mit mir gemacht hast.«
Großvaters Augen verengen sich erneut. »Du erinnerst dich? Das soll ein Beweis sein? Wenn du mich fragst – in meinen Ohren klingt es, als hättest du zu lange mit deinem Freund Dr. Malik gesprochen.«
Was geht hier vor? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass er überhaupt wusste, wer Malik war.
»Catherine, so genannte unterdrückte Erinnerungen sind vor Gericht überhaupt nichts wert. Ich bin überrascht, dass du das nicht weißt.«
»Anns Leichnam ist allerdings etwas wert«, sage ich gleichmütig.
Zum ersten Mal bemerke ich einen Anflug von Besorgnis in seinem Gesicht. »Wovon redest du jetzt schon wieder?«
»Wie konntest du ihr das nur antun, Großvater?«
»Was antun?«
»Sie sterilisieren! Du hast ihre Eileiter durchtrennt, als sie gerade zehn Jahre alt war! Mein Gott! Dein ganzes Leben lang hast du nach außen so getan, als wärst du etwas Besseres als alle anderen. Der beste Chirurg, der beste Geschäftsmann, der beste Jäger, der beste Vater, der liebevollste Großvater. Aber in Wirklichkeit bist du nichts von alledem! Du bist ein Monster! Ein perverser Freak! «
Seine stählernen Blicke ruhen wie festgenagelt auf meinem Gesicht. »Bist du fertig?«
»Nein, bin ich nicht. Du wirst für alles bezahlen, was du getan hast. Für Ann, für Mom, für mich. Und für die Kinder auf der Insel.«
Die Wangenmuskeln in dem versteinerten Gesicht arbeiten. Ich weiß mehr, als er für möglich gehalten hat, und das gefällt ihm nicht.
»Ich werde für gar nichts bezahlen«, sagt er. »Es gibt nichts, wofür ich bezahlen
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