Bisswunden
links hinter mir. Als ich mich umsehe, ist Billy Neal verschwunden. Hat Großvater ihm ein Signal gegeben, das ich übersehen habe? Wie dem auch sei, er nimmt Billys Verschwinden zum Anlass, gegen mich vorzurücken. Hundertachtzig Zentimeter rasender Wut, mit flammenden Augen und einer Stimme wie Moses vom Berg herab.
»Hast du überhaupt eine Vorstellung, wie viel Scherereien du mir gemacht hast? Ich schwitze Blut und Wasser, um diese Stadt zu retten, und du arbeitest rund um die Uhr daran, alles zu sabotieren, was ich erreicht habe!«
Was soll das? Ich beschuldige ihn des sexuellen Missbrauchs, und er schreit mich an, weil ein Geschäftsabschluss platzen könnte?
»Die bundesstaatliche Anerkennung der Natchez Indian Nation kann jeden Tag eintreffen!«, brüllt er. »Die Glücksspielkommission wartet nur auf eine Ausrede, um die Sache miteiner einstweiligen Verfügung aufzuhalten. Ich stecke tief in diesem Deal, Catherine. Ich habe eine Menge Geld aufs Spiel gesetzt! Nicht das Geld anderer Leute, sondern meins! Dein verdammtes Erbe, falls es dich interessiert – was wahrscheinlich nicht der Fall ist.«
»Da hast du allerdings Recht«, sage ich leise. »Es interessiert mich einen gottverdammten Dreck. Mich interessiert nur das, was du dieser Familie angetan hast. Und das ist alles, was dich interessieren sollte. Es war die ganze Zeit das Problem, nicht wahr, Großvater? Es war dir egal. Wir haben für dich nicht existiert, es sei denn, um dir Vergnügen zu bereiten, wenn dir danach war.«
Er macht einen weiteren Schritt auf mich zu, doch ich weiche nicht vor ihm zurück. »Ich erinnere mich an das, was du getan hast. Es hat fast dreißig Jahre lang gedauert, aber es kommt zurück. Der Teich … die Insel … der alte rostige Pick-up … der Regen.«
In seinen Augen flackert etwas, eine Emotion, die ich nicht entziffern kann. Die Wut, die er noch wenige Sekunden zuvor an den Tag gelegt hat, scheint verpufft. »Erinnerst du dich tatsächlich?«, fragt er mit einer Stimme, die plötzlich viel weicher klingt. »Erinnerst du dich, wie du dich gefühlt hast? Du hast es genossen, mein ganz spezielles Mädchen zu sein. Mein kleiner Engel. Du hast es geliebt, besser zu sein als deine Mutter. Du hast mir gegeben, was die anderen mir nicht geben konnten, Catherine.«
Er ist jetzt ganz nah. Der Augenblick ist erfüllt von einer obszönen Intimität, die meine Eingeweide zu Wasser werden lässt. »Du erinnerst dich, nicht wahr? Sie alle mochten es … aber nicht so wie du. Niemand sonst hat so reagiert wie du. Du bist genau wie ich.«
»Nein«, stöhne ich. »Sei still!«
Großvater strafft die breiten Schultern und blickt auf mich herab. »Hat irgendein Mann in dir dieses Gefühl hervorgerufen wie damals ich? Ich habe dich beobachtet, wie du von einemzum anderen gezogen bist … immer auf der Suche … Nicht einer von ihnen war Manns genug, um dich zu befriedigen, habe ich Recht?«
Ich hatte Recht, Sean die Identität der Mörderin in New Orleans noch nicht zu verraten. Sie und ich sind Schwestern im Geiste. Hätte ich eine Waffe in der Hand, ich würde auf Großvater schießen, bis das Magazin leer wäre.
Großvater verschränkt die Arme vor der Brust und blickt auf mich herab, wie er früher seine Patienten angesehen hat. »Ich will ganz offen zu dir sein, Catherine. Was für einen Sinn macht es, voller Illusionen durchs Leben zu gehen? Meine Illusionen wurden mir genommen, als ich noch ein kleiner Junge war, und ich bin froh darüber. Es hat mich stark gemacht. Es hat mir später eine Menge Herzschmerz erspart.«
»Wovon redest du?«
»Alles, was du heute gesagt hast, entspricht der Wahrheit, Catherine. Ich habe es mit Ann getan. Und auch mit deiner Mutter Gwen.«
Ich will ihm das Wort abschneiden, doch meine Stimme versagt mir den Dienst.
»Große Männer haben große Gelüste, Liebling, so einfach ist das. Sie haben mehr Hunger, als eine einzige Frau befriedigen kann. Deine Großmutter wusste das. Es gefiel ihr nicht, doch sie verstand es.«
»Lügner!«, brülle ich ihn an und finde neue Kraft in meiner Trauer und Empörung. »Wie schaffst du es nur, dir diesen Mist einzureden? Großmutter hat überhaupt nichts verstanden! Sie hat dich jahrelang verdächtigt, doch sie tat alles, um der Bestätigung ihrer Befürchtungen auszuweichen. Genau wie alle anderen in diesem Haus. Weil wir uns selbst eingestehen müssten, dass du uns niemals geliebt hast, wenn wir es wüssten. Dass du uns nur in deiner
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