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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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immer die Ursache sein mag, es ist so tief greifend, dass ich plötzlich das Gefühl habe, als hätte sich hinter ihrer Stirn ein zweites, unsichtbares Augenpaar geöffnet. Ein Augenpaar, in dem ein primitiver Instinkt lauert, dessen einziges Ziel das Überleben ist. Ich bin Evangeline Pitre noch nie im Leben begegnet, doch ich kenne sie wie meine Schwester.
    Besser noch. Sie ist ich. Ich besitze ebenfalls dieses zweiteAugenpaar. Jene Augen, die in der Dunkelheit stets weit aufgerissen darauf warten, dass er zu mir kommt …
    »Was ist denn?«, fragt Angie in diesem Moment. »Sie sehen mich so eigenartig an?«
    »Angie, mein Name ist Catherine Ferry. Kennen Sie diesen Namen?«
    Sie blinzelt ein einziges Mal, ganz langsam, wie eine Katze, die einer vorüberkommenden Maus Langeweile vortäuschen will. »Nein.«
    »Ich denke doch.«
    Sie schluckt.
    »Ich weiß, dass Ihr Vater ein schlechter Mann war, Angie. Die meisten Menschen hielten ihn für einen guten Menschen, doch ich weiß, wie er wirklich war.«
    Ihre Augen haben plötzlich einen stumpfen, glasigen Schimmer.
    »Ich weiß, dass er Sie angefasst hat, Angie. Ich weiß, dass er in der Dunkelheit zu Ihnen ins Bett gekommen ist. Er hat anderen Kindern wahrscheinlich das Gleiche angetan. Das ist der Grund, warum er sterben musste, nicht wahr?«
    Für einen beinahe unmerklichen Moment zuckt ihr Blick in Richtung des hinteren Flurs. Sucht sie nach einer Fluchtmöglichkeit? Oder nach Hilfe?
    Sean erhebt sich. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mich ein wenig im Haus umsehe?«
    Ich rechne damit, dass Angie protestierend aufspringt; stattdessen lehnt sie sich zurück. »Warum denn nicht?«, sagt sie. »Tun Sie, was Sie tun müssen.«
    Sean geht in den Flur hinaus, und als er an Angie vorbei ist, zieht er seine Waffe aus dem Schulterhalfter. Um einer Panik vorzubeugen, verwickle ich die junge Frau in eine Unterhaltung.
    »Waren Sie eines der ursprünglichen Mitglieder von Gruppe X, Angie?«
    Ein schwaches Lächeln huscht über ihre Lippen.
    »Sie haben Angst, mir zu vertrauen, doch das müssen Sie nicht. Ich weiß Bescheid über Dr. Maliks Film. Er wollte mir das Material zur Aufbewahrung überlassen, doch ich konnte es nicht annehmen. Das fbi war hinter mir her. Es ist immer noch hinter mir her, offen gestanden.«
    »Warum sollte das fbi hinter Ihnen her sein?«
    »Sie glauben, ich hätte etwas mit den Morden zu tun. Es macht mir nichts aus. Sie haben keine echten Beweise. Außerdem habe ich vor nicht ganz vier Stunden einen Mann getötet. Er hat versucht, mich zu vergewaltigen, und ich habe ihn getötet.«
    Die verborgenen Augen suchen mein Gesicht nach möglicher Täuschung und Lüge ab, doch sie finden nichts. »Ich begreife das nicht«, sagt Angie. »Sie sind mit einem Cop hier.«
    »Sean Regan ist kein gewöhnlicher Cop, Angie. Er ist mein Freund. Ich wurde als Kind missbraucht, genau wie Sie. Ich weiß, wie es sich anfühlt und was man durchmacht. Und ich bin nicht hier, um Ihnen wehzutun. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen.«
    Ihre Augen werden zu misstrauischen Schlitzen. Ich kann nur ahnen, was Leute dieser Frau angetan haben, die versprochen haben, ihr zu helfen.
    »Wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir allerdings die Wahrheit sagen, Angie«, fahre ich fort.
    »Worüber?«
    »Wie es angefangen hat. Ich weiß, dass diese sechs Männer für das bestraft wurden, was sie getan haben. Aber ich muss wissen, wie es angefangen hat.«
    Angies Gesicht ist so leer wie der Kopf eines Mannequins.
    »Sind Sie je einer Frau namens Ann Hilgard begegnet, Angie?«
    Zum ersten Mal bemerke ich aufkeimende Angst in ihren Augen. Aber warum sollte die Erwähnung des Namens meiner Tante Angst in dieser jungen Frau wecken?
    »Angie, wenn Sie heute Abend nicht mit mir sprechen, dannwird Sean der Sonderkommission berichten, was ich über diese Morde herausgefunden habe. Und über Ihre Rolle. Und danach kann ich Ihnen nicht mehr helfen.«
    Die Angst nimmt noch einen Tick zu. »Wovon reden Sie da? Was haben Sie herausgefunden?«
    Jetzt geht’s los  … »Ich habe herausgefunden, dass Sie den Speichel eines Babys aus der Tagesstätte, in der Sie arbeiten, genommen und in die Bissswunden der toten Männer geträufelt haben.«
    Totenstille. Evangeline Pitres Augen sind weit aufgerissen, und ihre Unterlippe bebt wie die einer Fünfjährigen.
    »Was ich wissen möchte, Angie, haben Sie das alles ganz allein gemacht, oder hat Ihnen jemand dabei geholfen? Hat Dr. Malik Ihnen geholfen?

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