Bisswunden
ich.
»Magnolia House.« Er blickt immer noch weg. »Das Altenpflegeheim. Sie hat mir dieses Haus verkauft. Würden Sie sich bitte etwas anziehen?«
Ich knie mich in den Pool, bis das Wasser meine Blöße bedeckt. »Sie können sich jetzt umdrehen.«
Der Mann dreht sich zu mir um. Er besitzt sandbraunes Haar und blaue Augen, und er trägt Khakis und ein blauesButton-down-Hemd im Oxford-Stil. Aus seiner Hemdentasche ragen mehrere Zungenspatel. Er sieht aus wie Anfang dreißig, und irgendetwas an ihm erscheint mir vertraut.
»Kenne ich Sie?«, frage ich.
Er grinst. »Kennen Sie mich?«
Ich mustere ihn von oben bis unten, doch ich weiß nicht, wo ich ihn einordnen muss. »Ich kenne Sie irgendwoher. Oder kannte Sie.«
»Ich bin Michael Wells.«
»Michael? Ich habe dich …«
»Nicht erkannt, ich weiß. Ich habe im Verlauf der beiden letzten Jahre vierzig Kilo abgespeckt.«
Ich mustere ihn erneut von Kopf bis Fuß. Es fällt mir schwer, das, was ich sehe, mit dem Bild von der Highschool in Einklang zu bringen, doch es ist genug vom alten Michael übrig, das mir bekannt erscheint. Es ist, als würde man einen Mann in der normalen Welt treffen, den man bis dahin nur als Krebspatient während einer Steroid-Therapie gesehen hat – aufgedunsen und weich zu jener Zeit, doch jetzt wunderbarerweise erholt, frisch, munter und gesund.
»Meine Güte, du siehst … blendend aus.«
Michael errötet noch tiefer als zuvor. »Danke, Cat.«
Er war drei Jahre über mir in der St. Stephen’s und dann am University Medical Center in Jackson. »Bist du bei der Pädiatrie geblieben?«, frage ich, während ich in meiner Erinnerung nach Einzelheiten krame.
Er nickt. »Ich war in North Carolina niedergelassen, aber dann kam das St. Catherine’s Hospital und hat mir eine Stelle angeboten. Die Stadt sucht händeringend nach weiteren Kinderärzten.«
»Ich bin froh, dass du zurückgekommen bist. Das Haus gehört jetzt dir?«
»Ja.«
»Ich bin früher ständig hier geschwommen.«
Er lächelt. »Ich weiß. Mrs. Hemmeter hat es mir erzählt.«
»Und? Wie gefällt es dir? Das Haus, meine ich?«
»Gut. Ich mag es auch, weiter hinten zu wohnen. Es ist natürlich kein Malmaison.«
»Sei froh. Wenn ich dir sage, was der Unterhalt von diesem Kasten kostet …«
»Kann ich mir vorstellen. Hast du je woanders in Natchez gewohnt?«
»Nein. Mein Dad ist mit einem posttraumatischen Stresssyndrom aus Vietnam zurückgekehrt. Er konnte keine Arbeit annehmen, also hat meine Mutter das College abgebrochen und ist nach Hause gekommen, und sie sind in eines der früheren Sklavenquartiere gezogen. Ich kam vier Jahre später zur Welt, und ich bin dort aufgewachsen.«
»Was hat dein Vater vor dem Krieg gemacht?«
»Er war Schweißer.«
»Kommen seine Skulpturen daher?«
»Ja.« Ich bin überrascht, dass Michael Wells sich daran erinnert. Nach zwei Jahren des Wanderns durch die Wälder und des Fernsehens machte mein Dad sich wieder daran, mit seiner Schweißerausrüstung zu arbeiten. Zu Anfang produzierte er riesige, scheußliche Stücke – asiatische Dämonen aus Eisen und Stahl, doch im Lauf der Zeit wurden seine Arbeiten weicher und bei einigen Sammlern sehr gefragt.
»Ist das ein Felsbrocken da unten?«, fragt Michael und deutet auf den Grund seines Pools.
»Ja. Dein Felsbrocken. Ich hab ihn benutzt, um unter Wasser zu bleiben. Ich bin Freitaucherin.«
»Was ist denn das?«
»Ich tauche im Meer so tief es geht, nur mit der Luft meiner Lungen.«
Michael betrachtet mich fasziniert. »Wie tief?«
»Ich war schon auf hundertsechs Metern.«
»Meine Güte! Ich betreibe ein wenig Flaschentauchen, aber ich war noch nie tiefer als dreißig Meter, und das mit Pressluft!«
»Ich benutze einen Schlitten mit Gewichten, um schnell nach unten zu kommen.«
»Von diesem Extremsport hab ich noch nie gehört.«
»Es ist eine ziemlich intensive Erfahrung. Man ist so einsam, wie man auf diesem Planeten nur sein kann, denke ich.«
Er hockt sich neben den Pool, und in seinen Augen steht Neugier. »Magst du das? Die Einsamkeit, meine ich?«
»Manchmal. Zu anderen Zeiten ertrage ich es nicht, allein zu sein. Buchstäblich.«
»Ich habe vor fünf Jahren Fliegen gelernt. Ich hab eine kleine Cessna 210 draußen auf dem Flugfeld. Da oben kriege ich meine Einsamkeit.«
»Siehst du? Fliegen bereitet mir Todesängste! Wenn ich in deine Cessna steigen würde, hätte ich schon nach zwei Minuten die erste Tüte voll gemacht.«
Michael lacht und errötet
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