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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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erscheint unausweichlich – doch benutze ich Logik, um zu ihr zu gelangen? Jenes überwältigende Gefühl von Déjà-vu, das mich überkam, als ich die leuchtenden Abdrücke zum ersten Mal sah, ist aller Beweis, den ich brauche.
    Dieser blutige Abdruck stammt von mir.
    Die Frage lautet, wessen Blut hat an meinem Fuß geklebt? Das meines Vaters? Falls genügend genetische Marker Natrieces Luminol-Bad überlebt haben – und falls ich von irgendwoher eine dna-Probe meines Vaters bekommen kann, ein Haar von einer alten Bürste vielleicht –, kann ein dna-Test den Nachweis erbringen, ob es sein Blut war oder nicht. Große Fragezeichen. Außerdem, selbst mit meinen Kontakten zu den kriminaltechnischen Labors im gesamten Staat könnte ein dna-Vergleich mehrere Tage in Anspruch nehmen. Und in der Zwischenzeit habe ich nur meine Erinnerung – beziehungsweise den Mangel daran –, um weiterzumachen.
    Ich erinnere mich kaum an Einzelheiten aus der Nacht, in der mein Vater gestorben ist; ich weiß praktisch nur noch, dass ich durch den Regen zu dem Dogwood-Baum gehe und seinen Leichnam vor mir am Boden liegen sehe. Es ist, als wäre ich mitten im nassen Gras materialisiert, aus dem Nichts. Ohne Stimme. Und es hat mehr als ein Jahr gedauert, bis ich wieder gesprochen habe. Warum? Wo war ich, als mein Vater starb? Habe ich geschlafen? Oder habe ich irgendetwas beobachtet? Irgendetwas, das zu schrecklich war, zu grauenvoll, um sich zu erinnern oder gar darüber zu sprechen? Pearlie weiß mehr über jene Nacht, als sie mir gegenüber zugegeben hat. Doch was hält sie zurück? Und warum? Wenn sie erst einmal von irgendetwas gesagt hat, es wäre die Wahrheit, macht sie nur selten kehrt und korrigiert ihre Version der Ereignisse. Doch vielleicht brauche ich Pearlie auch gar nicht. Zum ersten Mal im Leben habe ich einen Zeugen für die Ereignisse jener Nacht, der weder etwas verschweigen noch etwas verzerren kann. Blut. Das älteste Zeichen von Mord. Abels Blut, das vom Boden heraufschreit …
    »Mayday!«, ruft eine Stimme in meinem Kopf. »Mayday! Mayday!«
    Die Stimme ist das Ergebnis von fünf Jahren Tauchtraining. Sie sagt mir, wann ich mich dem kritischen Punkt nähere. Wann die Konzentration an Sauerstoff in meinem Körpergewebe so weit abgesunken ist, dass die meisten Menschen längst das Bewusstsein verloren hätten. Tatsächlich wären die meisten Menschen, die so lange unter Wasser geblieben wären wie ich jetzt, inzwischen ertrunken. Doch ich verfüge immer noch über eine Sicherheitsreserve. Meine Gedanken sind von einem hellen bewussten Strom zu einer schmalen Linie aus pulsierendem Licht kondensiert. Die Botschaft in dieser Linie hat nichts mit meiner Vergangenheit zu tun. Sie handelt von meinem Baby. Es ist hier bei mir, eingehüllt in die schützende Höhle meines Uterus, ein lebenswichtiges Organ, wenn es überhaupt eines gibt. Die meisten Frauen würden mich dafür verdammen, auf dieseWeise das Leben meines Babys zu riskieren. In einer anderen Situation würde ich vielleicht das Gleiche tun. Doch ich bin nicht in einer anderen Situation. Viele Frauen, die sich in meiner Situation wiedergefunden hätten, schwanger von einem verheirateten Mann, hätten bereits einen Termin für die Abtreibung festgemacht. Das habe ich nicht getan, und das werde ich nicht tun. Dies ist mein Baby, und ich will es austragen. Ich riskiere sein Leben nur, weil ich mein eigenes riskiere. Was mein Motiv angeht … der pulsierende blaue Faden aus Licht in meinem Bewusstsein sagt mir, dass mein Baby diese Situation überleben wird. Wenn wir aus dem Wasser steigen, werden wir eins sein, und nichts, was Sean Regan sagt oder tut, wird etwas daran ändern können …
    Mein Körper spannt sich. Ich öffne die Augen und sehe eine dunkle Gestalt über mir, über dem Wasser. Langsam löst sich ein goldener Speer von der Gestalt und senkt sich dem Wasser entgegen, direkt über mir. Ich stoße den Felsen von meiner Brust und explodiere durch die Oberfläche ans Licht und die Luft, spuckend vor Schreck. Ein großer Mann mit einer drei Meter langen Stange in der Hand steht am Rand des Pools und starrt mich an. Er sieht aus, als wäre er noch erschrockener als ich.
    »Ich dachte, Sie wären ertrunken!«, sagt er wütend. Dann läuft er rot an und wendet sich ab.
    Ich verschränke die Arme vor meinen Brüsten, als mir bewusst wird, dass ich nur mit meinem Höschen in den Pool gestiegen bin. »Wer sind Sie? Wo ist Mrs. Hemmeter?«, frage

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