Bisswunden
Wenigstens ist der Pool noch in Schuss. Mrs. Hemmeter selbst schwimmt seit einigen Jahren nicht mehr, und so erscheint mir das klare, in der Sonne glitzernde Wasser ein wenig wie mein Schlafzimmer – etwas, das in der Hoffnung erhalten wird, dass ich eines Tages dorthin zurückkehre. Vielleicht ist es nur meine Eitelkeit, doch ich vermute, dass ich richtig liege.
Ich jogge um das Haus herum und sehe in der Garage nach. Leer. Ich kehre zum Pool zurück, streife meine Jeans und meine Bluse ab und springe in den tiefen Bereich des Beckens, ohne mehr als einen winzigen Spritzer zu verursachen. Der Schwung bringt mich halbwegs bis zur anderen Seite. Ich schwimme mit kräftigen Zügen bis zum Rand, steige nach draußen und gehe zum Blumenbeet, wo ich nach einem dicken, flachen Stein suche, der ungefähr so groß ist wie ein Serviertablett. Ich finde ihn und trage ihn die Stufen ins Wasser hinunter. Nach einer kurzen Meditationspause, wie ich sie immer vor dem Tauchen einlege, wobei mein Pulsschlag auf sechzig Schläge die Minute absinkt, lege ich mich im Wasser auf den Rücken und den Stein auf meine Brust.
Die Wassertemperatur beträgt gut dreißig Grad Celsius, wie das Meer unter der Äquatorsonne. Ich liege drei Minuten lang am Boden, bevor meine Brust sich in ihrem ersten »physischen Schrei« nach Sauerstoff verkrampft. Freitaucher trainieren darauf hin, diesen Reflex zu ignorieren, der einen Ungeübten in Todesangst versetzen würde. Wer lernt, eine bestimmte Anzahl solcher Reflexe zu beherrschen, kann auf eine ursprünglichere Ebene der Existenz zurückkehren – ein Zustand, an den der Körper sich dunkel aus seinem genetischenErbe als wasserbewohnendem Tier erinnert. Zu Anfang musste ich mehr als zwanzig dieser Krämpfe überwinden, bevor ich einen solchen Zustand erreichte. Heutzutage kommt die wunderbare Verwandlung fast schmerzlos. Im »Tauchzustand« verlangsamt sich mein Herzschlag dramatisch, manchmal bis auf fünfzehn Schläge in der Minute. Mein Blutkreislauf versorgt nur noch die lebenswichtigsten Organe, und langsam füllt Blutplasma meine Lungen, um dem zunehmenden Druck der Tiefe standzuhalten.
Ich spüre ihn jetzt, jenen stetigen Abstieg in einen Zustand der Entspannung, den ich sonst nirgendwo in meinem Leben zu finden vermag. Nicht im Schlaf, wo ich von Albträumen heimgesucht werde. Nicht beim Sex, dessen rasender Drang mich in einen tauben Schmerz treibt, den ich nicht einmal benennen kann. Und nicht bei der Jagd nach Raubtieren, wo der Triumph, meine Beute in die Falle getrieben zu haben, nur vorübergehende Linderung bringt. Irgendwie entlädt sich das Chaos, das an der Oberfläche in meinem Bewusstsein herrscht, sobald ich unter Wasser bin, und meine Gedanken werden ruhig oder ordnen sich zu einem erkennbaren, verständlichen Muster. Das Wasser des Pools wiegt meinen Körper sanft hin und her, und die wahnsinnigen Ereignisse der vergangenen Woche werden allmählich klar.
Ich bin heute nicht alleine. Ein Kind wächst in meinem Leib heran, isst, was ich esse, atmet meine Luft. Hier unten ist der Gedanke, schwanger zu sein, längst nicht so beängstigend. Die Empfängnis des Kindes ist schließlich kein Geheimnis. Eine einfache Kombination von Sorglosigkeit und Lust. Seans Kinder sind ins Sommerlager gefahren, seine Frau ist zu Besuch bei ihrer Mutter in Florida … und er ist von Donnerstag bis Sonntag bei mir im Haus geblieben. Am Samstagmorgen hatte ich eine Zystitis von zu viel Sex – das, was man an der medizinischen Fakultät Honeymoon-Syndrom nannte –, also nahm ich eine geringe Dosis Cipro, um die Entzündung zu behandeln. Das Antibiotikum hat die Wirkung meiner Antibabypillegestört, und das war’s. Ich war plötzlich empfängnisfähig. »Mit Kind«, wie meine Großmutter immer zu sagen pflegte.
Das Rätsel ist, warum ich bisher noch nicht mit Sean darüber gesprochen habe. Ich liebe ihn. Er liebt mich. Bis zu diesem Augenblick haben wir jeden Gedanken und jedes Gefühl geteilt. Wir haben uns sogar unsere Geheimnisse gestanden, ein schmerzlicher Prozess, jedoch die einzige Möglichkeit, nicht wahnsinnig zu werden in einer Beziehung, die im Verborgenen geführt werden muss. Es muss eine gewisse Ehrlichkeit geben inmitten all der Lügen. Meine Angst besteht darin, dass Sean denken könnte, ich wurde absichtlich schwanger. Dass ich ihn auf diese Weise unter Druck setzen wollte. Und selbst wenn er mir die Wahrheit glaubt – wird er tatsächlich seine Familie verlassen, um bei mir
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