Bisswunden
dafür.«
Ich erhebe mich und gehe in der Küche auf und ab. »Die eigentliche Frage lautet doch: Warum versucht Malik, uns seine Unterlagen vorzuenthalten?«
»Er behauptet, das Leben seiner Patienten könnte zerstört werden, wenn Dinge, die sie ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut haben, an die Öffentlichkeit geraten. Er sagt, einige von ihnen wären bereits in Gefahr, wenn nur bekannt würde, dass sie in Therapie sind.«
Gestern habe ich Sean gegenüber genauso argumentiert, doch heute – nach dem neuen Mord – erscheint es mir ziemlich weit hergeholt. »In Gefahr?«, frage ich. »Von wem droht ihnen denn Gefahr?«
»Das will er nicht sagen. Ich nehme an, es ist familiär bedingt, denn die beiden Frauen, von denen wir wissen, verheimlichen ihre Besuche bei Malik vor ihrer Familie. Vielleicht droht ihnen Ärger von ihren Freunden.«
»Und wenn Malik nicht der Killer ist, sondern den Killer schützt?«, werfe ich ein.
»Dann macht er sich der Beihilfe zum Mord schuldig. Wenn er von einem drohenden Kapitalverbrechen weiß, ist er durchs Gesetz verpflichtet, die Tat zu verhindern. Was bedeutet, dass er zur Polizei gehen muss.«
Ich bleibe stehen. »Und wenn er erst nach der Tat davon erfahren hat? Ist es dann wie bei einem Priester, der eine Beichte abnimmt?«
Sean blickt auf den Tisch und schürzt die Lippen. »Ja. Ich glaube, er hätte dann das gleiche Recht wie ein Priester.«
Ich spüre, dass ich auf einer Fährte bin. »Was, wenn ein Patient vier Wochen nacheinander in seine Praxis kommt und sagt, dass er vor einigen Tagen jemanden ermordet hat?«
»Vergangene Straftaten sind durch dieses Gesetz abgedeckt. Wäre das nicht so, würde niemand je seinem Therapeuten etwas anvertrauen. Oder seinem Priester … oder dem Anwalt. Ausnahmen gelten nur, wenn ein konkretes Risiko für das Leben anderer besteht.«
Ich nehme eine Banane aus einer Schale auf dem Tresen und schäle sie, lege sie dann aber wieder zurück. »Okay. Es könnte also sein, dass Malik den Killer abschirmt. Vor dem Gesetz. Warum könnte er das tun?«
»Weil er ein arrogantes Arschloch ist. Ein Akademiker, der sich auch nicht annähernd die Realität dieser Morde vorstellen kann.«
»Ein Sanitäter, der in einem Kriegsgebiet Dienst geleistet hat, kann sich wahrscheinlich ziemlich genau vorstellen, wie diese Morde aussehen.«
Sean räumt seufzend ein, dass ich wohl Recht habe, und plötzlich bin ich ganz aufgeregt. »Und wenn er den Mörder schützt, weil er überzeugt ist, dass die Morde gerechtfertigt sind?«
»Du meinst, ein verzerrter moralischer Standpunkt?«
»Vielleicht ist er gar nicht so verzerrt. Ein Missbrauchsopfer tötet den Mann, der es jahrelang vergewaltigt hat. Für das Opfer ist es Selbstverteidigung. Notwehr.«
»Und für Malik eine gerechtfertigte Tat«, fügt Sean hinzu, und meine Aufregung überträgt sich auf ihn. »Das Problem ist, wir haben fünf Opfer. Denkst du, dass eine von Maliks Patientinnen von allen fünf Mordopfern missbraucht wurde?«
»Möglich wär’s. Wenn es eine Art pädophilen Ring gegeben hat oder so.«
»Du sagst, die Morde sind die Rache für etwas, das sich vor längerer Zeit ereignet hat?«
»Malik ist auf unterdrückte Erinnerungen spezialisiert, nicht wahr? Reden wir doch mal für ein paar Augenblicke über Sex.«
In Seans Augen glitzert es; er hat mich missverstanden. Erwill einen Witz machen, doch dann wird ihm unsere gegenwärtige Situation bewusst, und er schweigt.
»Behandelt Malik Männer und Frauen?«, frage ich. »Ich meine, Dr. Shubb hat etwas in der Richtung gesagt.«
»Wir wissen, dass er eine Reihe von Männern behandelt hat. Wir wissen nicht, wie viele es sind. Die Sonderkommission spricht mit jedem Psychologen und Therapeuten in Louisiana und Mississippi auf der Suche nach jemandem, der Patienten an Malik überwiesen hat. Sie hat bereits einen Psychologen gefunden, der im vergangenen Jahr einen Patienten zu Malik geschickt hat.«
»Wegen sexuellen Missbrauchs?«
»Das wollte der Seelenklempner ohne Gerichtsbeschluss nicht sagen.«
»Verdammt. Wie lange kann es dauern – realistisch betrachtet – bis ihr Malik zwingen könnt, die Namen seiner Patienten preiszugeben?«
»Kaiser schätzt, dass er den Richter bis heute Nachmittag zu einem entsprechenden Beschluss bringen kann. Vielleicht nicht nur die Namen, sondern auch die Aufzeichnungen.«
»Und wenn Malik sich dann immer noch weigert?«
»Widersetzt er sich dem Gericht.«
»Was passiert
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