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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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in der Bibliothek der Tulane Medical School ausgeliehen hat. Es trägt den Titel: Der Strom Lethe: Unterdrückte Erinnerung und Mord an der Seele. Es ist ein dünnes Buch von lediglich hundertdreißig Seiten Umfang. Der dunkle Einband zeigt eine unheimliche, vom Mondlicht erhellte Szene: ein alter Fährmann mit einem Umhang, der in seinem Boot mitten auf einem Fluss steht, und eine zerbrechlich wirkende junge Frau, die darauf wartet, an Bord steigen zu können. Das Bild erscheint mir nicht gerade geeignet, Wohlbefinden in jemandem auszulösen, der sexuell missbraucht wurde. Doch vielleicht legt es einen Schalter um in den Opfern, sodass sie herausfinden möchten, was sich zwischen vorderem und hinterem Einband verbirgt.
    Auf mich hat es die gegenteilige Wirkung. Trotz meines Verlangens, mehr über die innere Funktionsweise von Maliks Verstand herauszufinden, ist die Aussicht, mich durch hundertdreißig Seiten Kindesmissbrauchs zu kämpfen, im Augenblick zu viel für mich. Vielleicht liegt es an meiner Schwangerschaft. Außerdem ist Sean wahrscheinlich bald zurück. Besser, ich fange später an zu lesen, wenn ich es in einem Zug durcharbeiten kann.
    Während ich auf Seans Rückkehr warte, überfliege ich eine Liste mit Maliks Publikationen. Seine frühesten Artikel befassen sich mit bipolarer Verhaltensstörung und fassen seine ausführlichen Untersuchungen bei Manisch-Depressiven zusammen. Danach hat er eine Studie über das posttraumatische Stresssyndrom bei Vietnam-Veteranen verfasst. Nach den Abstracts seiner Artikel zu urteilen waren es die Ergebnisse dieser Arbeiten, die ihn dazu führten, das gleiche Phänomen bei Menschen zu studieren, die sexuell missbraucht wurden. Und dies wiederum führte zu Pionierarbeiten auf dem Feld der multiplen Persönlichkeitsstörungen.
    »Die Austern sind da!«, ruft Sean von der Garagentür her.
    Er kommt mit einer braunen Tüte herein, die von Fettflecken übersät ist. Er öffnet sie auf dem Küchentisch, als sein Mobiltelefon summt. Mit einem Blick auf das Display sagt er: »Das ist Joey.« Detective Joey Guercio ist Seans Partner. »Joey? Was hast du herausgefunden?«
    Das Grinsen verschwindet von Seans Gesicht. »Kein Scheiß? War Kaiser dabei, als ihr es erfahren habt? … Okay, ich rede später mit ihm. Das könnte wichtig werden … Ich weiß es zu schätzen, danke … Ja. Sämtliche anderen Opfer werden ebenfalls überprüft? … Gut. Ruf mich an, sobald ihr etwas Neues habt.« Er beendet das Gespräch und blickt mich an. »Es gibt eine weitere Verbindung zwischen zweien der Opfer. Dem ersten und dem von heute. Colonel Moreland und Calhoun.«
    »Über Malik?«, frage ich hoffnungsvoll.
    »Nein.«
    »Was dann?«
    »Vietnam.«
    Ich hätte nicht mehr überrascht sein können, wenn Sean »Harvard« gesagt hätte. »Vietnam? Was ist mit Vietnam?«
    »Beide haben dort Dienst geleistet. Sowohl Moreland als auch Calhoun.«
    »Zur selben Zeit?«
    »Ihre Dienstzeiten überschneiden sich. Colonel Morelandwar Berufssoldat. Er hat von 1966 bis 1969 in Vietnam gedient. James Calhoun war von 1968 bis 1969 da.«
    »Welche Waffengattung?«
    »Keine. Calhoun war Zivilist. Ein Techniker, der beim Verteidigungsministerium unter Vertrag stand.«
    Es fällt mir schwer zu glauben, dass diese Verbindung etwas mit unserem Fall zu tun haben könnte. »Vietnam ist ein großes Land, Sean. Wir hatten zeitweise fünfhunderttausend Soldaten dort. Gibt es irgendwelche Hinweise, dass die beiden Männer sich gekannt haben?«
    »Noch nicht. Die Sonderkommission arbeitet daran. Aber es scheint seltsam, findest du nicht?«
    »Nein, eigentlich nicht. Die meisten Opfer haben das richtige Alter, um in Vietnam gewesen zu sein.«
    »Sicher. Aber die meisten Leute in diesem Alter waren nicht in Vietnam. Zwei Freunde meines älteren Bruders waren dort, aber das sind auch schon alle, die ich kenne. Und jetzt sind von fünf Mordopfern zwei in Vietnam gewesen?«
    Ich antworte nicht. Ich denke über meinen Vater und seinen Dienst in Vietnam nach. Wie viele Väter oder Onkel meiner Klassenkameraden waren in Vietnam? Ich kann mich an keinen erinnern. Doch ich war auf einer Privatschule. Wahrscheinlich hatten viele Kinder von öffentlichen Schulen Väter, die während dieses Krieges in Vietnam waren.
    »Wir vergessen noch etwas«, sagt Sean. »Nathan Malik hat ebenfalls in Vietnam gedient. In der gleichen Zeit wie Calhoun, was bedeutet, dass er auch zur gleichen Zeit wie Colonel Moreland dort war. Was sagst du

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