Bisswunden
abzuschätzen versuchen, nach einer Verletzung weiter zu schwimmen. »Soll das heißen, Sie können es nicht tun?«
»Ich wollte, ich könnte Ihnen eine andere Antwort geben. Es tut mir Leid. Später vielleicht.«
»Die fbi-Außenstelle liegt nur fünf Minuten die Küste hinauf von ihrem Haus entfernt«, sagt Sean, als wäre Kaiser nicht erst vor einer Stunde bei mir gewesen. »Ich bringe sie zu Ihnen, sobald sie sich besser fühlt.«
Kaiser mustert mich noch ein paar Sekunden, dann sieht er den Fahrer an. »Bringen Sie uns zu Dr. Ferrys Haus.«
Ich drücke Sean dankbar die Hand.
»Macht es Ihnen denn etwas aus, wenn Sie mir jetzt ein paar Fragen beantworten?«, fragt Kaiser und sieht mich wieder an.
»Nein. Schießen Sie los.«
»Wurde Ihr Vater in Übersee je gefangen genommen?«
»Ich glaube nicht. Aber ich bin nicht sicher. Er wollte nicht mit uns über die Dinge reden, die er durchgemacht hat. Ich war ja erst acht, als er starb. Er hat nie mit meiner Mutter darüber gesprochen. Jedenfalls hat sie das gesagt.«
»Vielleicht hat Ihre Mutter lediglich versucht, Sie vor Dingen zu schützen, von denen sie glaubte, Sie würden nicht damit fertig?«
Noch vor einer Woche hätte ich mich entschieden dagegen gewandt, doch nachdem ich die Blutflecken in meinem Schlafzimmer gefunden habe, bin ich mir nicht mehr sicher. Soweit ich es sagen kann, haben meine Mutter, mein Großvater und Pearlie mich jahrelang vor einer Wirklichkeit abgeschirmt, von der ich niemals erwartet hätte, dass es sie gibt. Angefangen bei der Wahrheit über den Tod meines Vaters …
»Malik macht immer noch die gleiche Unterscheidung wie alle, die in Vietnam waren«, sagt Kaiser zu dem Agenten, der am Steuer des Wagens sitzt. »Ist Ihnen das aufgefallen?«
»Welche Unterscheidung?«, fragt Sean.
»Zwischen dem, wo er ist, und dem Rest der Welt. Er sagt: zurück in der Welt, oder draußen in der Welt – genau wie die GIs es sagen. Als wäre er in einem Krieg. In einer Feuerzone. An einem Ort, an dem die normalen Regeln menschlichen Zusammenlebens außer Kraft sind.«
»Er war unglaublich ruhig«, sage ich. »Jedenfalls die meiste Zeit. Es war unheimlich.«
»Er war damals nicht so, als Sie ihn kannten?«
»Ich glaube nicht, nein.«
Der Fahrer biegt rechts ab, und zu unserer Linken erscheint der Lake Pontchartrain. Stahliges Blau mit weißen Schaumkronen auf den Wellen. Nicht viele Segelboote unterwegs heute.
»Was für ein Gefühl haben Sie wegen Malik?«, fragt Kaiser.»Sie haben ihm in die Augen gesehen, ich nicht. Hat Malik diese Männer umgebracht?«
Eine Möwe streift im Tiefflug über die Straße und sinkt der Wasseroberfläche entgegen. »Wenn Sie mich fragen, ob er es getan haben könnte, lautet meine Antwort Ja. Ich glaube, er könnte töten, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch wenn Sie wissen wollen, ob ich ihn für den Killer halte – ich kann es nicht sagen. Er scheint irgendwie über diesen Morden zu stehen. Er würde es nicht im Zorn tun. Nicht im heißen Zorn jedenfalls. Wenn Malik unser Killer ist, dann ist alles, was wir bis heute über Serienmörder herausgefunden haben, völlig nutzlos für uns.«
»Da stimme ich Ihnen zu.«
»Was denken Sie denn?«, frage ich Kaiser.
Er sieht nachdenklich aus. »Ich war früher Profiler in Quantico«, sagt er leise. »Ich war verdammt gut in meinem Job, aber ich musste aufhören. Wusste das einer von Ihnen?«
Sean sieht mich an; dann nickt er zögernd.
»Wissen Sie auch, warum ich aufhören musste?«, fragt Kaiser.
»Ich habe gehört, Sie wären ausgebrannt gewesen«, sagt Sean.
»Das könnte man so sagen. Ich habe einen Kerl im Gefängnis angegriffen. Einen Kindesmörder. Ich saß zusammen mit dem Chief meiner Einheit im Verhörraum. Wir nahmen uns den Typen vor, füllten Vernehmungspapiere aus und dergleichen. Und der Killer saß dort und beschrieb in aller Seelenruhe, wie er den kleinen Jungen mit Elektrowerkzeugen bearbeitet hatte. Ich erspare Ihnen die Details. Wie dem auch sei, ich verlor die Nerven. Bevor ich wusste, was ich tat, war ich über den Tisch gesprungen und versuchte dem Kerl den Kopf abzureißen. Ich hab ihm ein paar Knochen gebrochen und ein Auge ausgeschlagen. Mein Boss musste mich mit einem Kaffeebecher niederschlagen, um mich von dem Mistkerl runterzuholen.«
Kaisers braune Augen blicken in entrückte Ferne, als würde er aus einem vergangenen Leben erzählen. »Als ich Malik zugehört habe, stieg in mir das gleiche Gefühl auf. Nicht der Hass wie
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