Bisswunden
Brüllen des Acetylengasbrenners und das Zischen von Dampf, wenn er rotglühendes Metall in den Trog tauchte, den er zum Tempern benutzte. Ich rieche die Säuren zum Ätzen und höre den Niethammer, mit dem er verschiedene Einzelteile seiner Skulpturen zu einem Ganzen verband, das nur in seiner Vorstellung existierte. Es gab keine Skizzen, keine Pläne, nichts. Nur unbearbeitetes Metall und die fertige Plastik in seinem Kopf.
Hin und wieder setzte er die Maske ab und blickte hinauf zu mir im Gebälk. Manchmal lächelte er. Dann wieder starrte er nur nach oben und beobachtete mich mit einem Ausdruck der Furcht in den Augen. Selbst in meinen jungen Jahren ahnte ichbereits, dass mein Vater mich als eine weitere seiner Schöpfungen betrachtete, eine Schöpfung, die zu zerbrechlich war, um sie auf die gewohnte Weise zu behandeln. Er schien zu fürchten, dass ich im Gegensatz zu dem Metall, das er mit solcher Sicherheit formte, schon durch ein falsches Wort oder eine falsche Bewegung einen irreparablen Schaden davontragen könnte.
Die Scheune war für mich immer das Studio meines Vaters gewesen, doch in Wirklichkeit schlief er die letzten Jahre seines Lebens auch dort. Die Scheune lag nur zweihundert Meter vom Haupthaus und den Sklavenquartieren entfernt, wo ich bei meiner Mutter schlief, doch die Trennung war vollkommen. Niemand durfte die Scheune betreten, wenn Vater dort arbeitete. Niemand außer mir. Als ich Mutter einmal nach einer Erklärung fragte, warum Vater in der Scheune schlief, sagte sie, es wäre wegen des Krieges. Mehr nicht. Mein Vater erzählte mir, dass er des Nachts schlimme Träume hätte und manchmal, wenn er davon aufwachte, nicht wüsste, wo er war. Und dann, sagte er, war es jedes Mal so, als hätte der Krieg niemals geendet und als wäre er nie zurück nach Hause gekommen. Und wenn dies geschähe, fuhr er fort, wäre es besser für Mutter und mich, wenn wir nicht mit ihm zusammen im Haus wären. Für meinen Vater war der Krieg nie zu Ende. Er war niemals wirklich nach Hause zurückgekehrt.
»Was denkst du?«, fragt Sean hinter mir.
Ich drehe mich nicht zu ihm um. Um diese Zeit sind nicht viele Boote draußen, doch ich muss sie trotzdem beobachten. Es ist wie ein innerer Zwang. Ein Segel, das sich langsam über den Horizont bewegt, gibt mir etwas, worauf ich mich konzentrieren kann, wenn ich den seelischen Zusammenhalt zu verlieren drohe. Wie jetzt. Das unkontrollierte Gefühl, das mich beim Verlassen von Maliks Praxis übermannt hat, ist immer noch da.
»Wegen meines Vaters«, sage ich leise.
»Was ist mit ihm?«
»Nichts. Irgendwelche Bruchstücke. Mehr habe ich nicht an Erinnerungen.«
Sean legt mir die Hand auf die Schulter und drückt leicht zu. Ich zucke bei seiner Berührung zusammen, doch es gelingt mir, mich nicht loszureißen.
»Ich brauche einen Drink«, sage ich leise.
Er wartet ein paar Sekunden, bevor er antwortet. »Was ist mit dem Baby?«
»Entweder einen Drink oder Valium. Ich bin im Moment nicht sicher, was schlimmer ist.«
»Wäre denn ein Drink so schlimm?«
»Es ist nicht nur ein Drink. Es ist der erste Schritt über einen Abgrund.«
Sein Griff an meiner Schulter wird fester. »Wir müssen dich davon ablenken. Was kann ich tun?«
»Ich weiß es nicht.« Das Segel am Horizont, das ich beobachtet habe, ist verschwunden. Das Boot hat eine Halse durchgeführt und kämpft sich den Weg zurück zum Ufer. »Vielleicht sollten wir ins Bett gehen.«
Seans andere Hand legt sich auf meine andere Schulter. »Meinst du das im Ernst?«
»Nein. Aber ich brauche irgendwas, um dieses Gefühl in mir zu betäuben.«
»Was ist es denn?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass ich jemals so etwas gefühlt habe. Es war alles in Ordnung, bevor ich zu Malik gegangen bin. Und es war auch noch alles in Ordnung, als ich bei ihm in der Praxis war. Aber jetzt … es ist, als hätte er in meinem Kopf einen Schalter umgelegt. So viele Gefühle durchfluten mich … zu viele Gefühle.«
Sean dreht mich zu sich um und tritt so dicht vor mich, dass wir uns an der Brust berühren. Ich blicke in seine Augen und versuche, mich darin zu verlieren. Das ist mir schon früher gelungen. Mich zu verlieren in diesen grünen Kugeln wie einkleines Kind, das in einem smaragdfarbenen See schwimmt. Schwimmt und treibt …
Ich reiße mich los. Sean hat mich geküsst, und die Berührung hat mich durchzuckt wie ein elektrischer Schlag.
»He«, sagt er besorgt. »Was ist denn los?«
»Ich weiß es
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