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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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sich den Zeigefinger und blättert eine Seite um. »Dr. Overtons Frau ist gestern gestorben. Sie war eine verschrobene alte Kuh.«
    »Erzähl mir von Jesse Billups.«
    Pearlie erstarrt – wie ein Rotwild, das plötzlich Gefahr wittert.
    »Versuch erst gar nicht, so zu tun, als wüsstest du nicht, von wem ich rede.«
    Endlich blickt sie von ihrer Zeitung auf. »Mit wem hast du gesprochen?«
    »Mit einem Mann, der in Vietnam gedient hat. Jesse Billups kannte Daddy, Pearlie. Ich möchte, dass du mir sagst, wer er ist und wo ich ihn finde. Du weißt, dass ich es auf die eine oder andere Art herausfinde. Ich kann nicht glauben, dass du mir nie ein Wort über ihn erzählt hast.«
    Pearlie schließt die Augen, als hätte sie plötzlich Schmerzen. »Jesse ist der Sohn meiner Schwester. Halbschwester eigentlich. Wir hatten die gleiche Mutter und unterschiedliche Väter.«
    »Deine Schwester auf DeSalle Island?«
    Pearlie nickt. »Ivy ist meine einzige Schwester.«
    Ich sehe ein Bild von einer kleinen, starken schwarzen Frau, die sich das Kraushaar zu einem Dutt zurückgebunden hat. Mit diesem Bild kommt der Geruch nach medizinischem Alkohol und die Erinnerung an Schmerz. Ivy hat mir als Kind eine Spritze gegen Tetanus gesetzt, nachdem ich im See in einen Nagel getreten war.
    »Wo ist sie heute?«
    »Ivy ist gestorben, Baby. Erinnerst du dich? Ist schon fast vier Jahre her.«
    Ich erinnere mich nicht, von Ivys Tod gehört zu haben, doch ich erinnere mich sehr gut an die Frau – nicht vom Namen her, sondern wegen ihrer Arbeit.
    Ivy hat auf DeSalle Island als Assistentin meines Vaters gearbeitet, in dem kleinen Gebäude, das wir »die Klinik« nannten. Großvater betreibt die Klinik auch heute noch, für Notfälle und um die schwarze Bevölkerung der Insel zu behandeln, wann immer er sich dort aufhält. Zu bestimmten Zeiten haben mehr als hundert Menschen auf der Insel gewohnt und gearbeitet, und viele von ihnen benutzten täglich Kettensägen und andere gefährliche Farmwerkzeuge. Ich habe Großvater beim Nähen so vieler Schnittwunden zugesehen, dass ich mit zwölf selbst eine Wunde hätte nähen können, wäre es nötig gewesen. Großvater nahm kein Geld für seine Dienste, deswegen warteten die meisten Inselbewohner lieber auf seine Besuche, als aufs »Festland« überzusetzen und dort medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
    Ivy hatte damals keine richtige medizinische Ausbildung, doch sie war klug, verschwiegen und besaß geschickte Hände. Großvater brachte ihr genug bei, um während seiner Abwesenheit »herumzudoktern«. Ihre größte gemeinsame Leistung war die Blinddarmoperation an meiner Tante Ann im Jahre 1958 im Laternenlicht während eines Sturms, der die Insel vom Festland abschnitt.
    »Was ist mit Jesse Billups?«, frage ich. »Ist er noch in der Gegend?«
    Pearlie seufzt und reibt sich die Stirn. »Baby, warum nur musst du in all den alten Geschichten graben?«
    Ich lasse mich nicht ablenken. »Lebt Jesse noch?«
    »Jesse ist heute Vormann auf der Insel. Oder Aufseher oder Verwalter, wie auch immer sich das nennt.«
    »Jesse Billups ist Verwalter auf der Insel? Er leitet das Jagdcamp und all das?«
    »Ist wohl so.«
    »Wie alt ist er?«
    »Fünfzig und irgendwas, schätze ich.«
    »Wenn er Ivys Sohn war, warum erinnere ich mich dann nicht an ihn?«
    Pearlie zuckt erneut die Schultern. »Zum einen hat er den Nachnamen seines Vaters angenommen, obwohl er ein uneheliches Kind war. Außerdem war er während deiner Kindheit viel unterwegs. Ist mit irgendeinem großen Plan in die Stadt gezogen, aber außer großem Ärger hat er nichts erreicht. Sie haben ihn ein paar Jahre lang in Angola eingesperrt, direkt gegenüber der Insel. Lustig, wenn man drüber nachdenkt, meinst du nicht?«
    Ich kann nichts Lustiges am Angola Penitentiary finden. »Du hörst dich nicht so an, als würde er dir viel bedeuten.«
    »Jesse geht es einigermaßen, schätze ich. Ich hab’s dir doch vor ein paar Tagen erzählt. Ein paar gute Jungs sind in den Krieg gezogen und kamen völlig verändert zurück. Es war nicht ihre Schuld.«
    »Was war mit ihm im Krieg?«
    »Er hat sich eben verändert. Innerlich und äußerlich. Er hat nie darüber geredet. Genau wie Mister Luke.«
    »Hast du Jesse und Daddy miteinander reden sehen?«
    »Ich hab sie oft zusammen gesehen, ja. Eine Weile waren sie die besten Freunde. Mister Luke verbrachte viel Zeit auf der Insel. Meinte, die Stille dort draußen würde ihm gut tun.«
    »Was haben Daddy und Jesse

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