Bisswunden
Namen dieses Mannes?«
»Jesse irgendwas. Der Nachname ist mir entfallen.« Burley winkt in Richtung des Gebäudes. »Müsste ihn eigentlich irgendwo drinhaben, aber unsere Aufzeichnungen sind im Augenblick nichts wert. Der Computer ist kaputt. Jesse war auch bei den Fallschirmjägern, daran erinnere ich mich. Aber ’ne andere Einheit als die von Ihrem Daddy, Miss. Die Einheit, in der Jimi Hendrix gewesen ist. Jesse war richtig stolz darauf.«
»Kam Jesse von hier?«
»Nein, aus Louisiana. Ein Stück den Fluss runter. St. Francisville vielleicht.«
»Sie erinnern sich wirklich nicht an seinen Nachnamen?«
Burley blinzelt angestrengt wie ein Mann, der in die tief stehende Sonne blickt. »Warten Sie, gleich hab ich’s … nein, doch nicht. Ich komme einfach nicht drauf. Gedächtnisschwund, wissen Sie? Warten Sie … Billings? Nein. Billups? Billups, das ist es! Genau wie die Tankstelle, die wir früher hier hatten. Jesse Billups, 101. Fallschirmjägerdivision.«
Ich hatte gehofft, dass mir der Name etwas sagen würde, aber dem ist nicht so. Ich blicke den Hügel hinunter zu den Tennisplätzen und wische mir den Schweiß aus den Augen. Früher habe ich ein paar Mal dort gespielt – in einem anderen Leben, wie mir heute scheint. Ich schaue zu meinem Wagen, habe aber keine Lust, irgendwohin zu fahren. »Brauchen Sie Hilfe beim Zerlegen des Floßes?«
Burley lacht. »Nein, brauche ich nicht, aber ich würde mich über Ihre Gesellschaft freuen, Miss! Nur … Sie haben bestimmt Besseres zu tun, als hier herumzuhängen?«
»Ich bin nicht sicher.«
»Hey!« Er hämmert eine fleischige Hand auf die Platte des Picknicktisches. »Eigentlich müssten Sie Jesse ziemlich leicht finden können, wissen Sie?«
»Wie das?«
»Sie sind doch die Enkeltochter von Dr. Kirkland, oder? Sie sind doch drüben in dem großen Schloss aufgewachsen, Malmaison, wo Luke in der Scheune gewohnt hat?«
»Ja.«
»Also, Jesse … er war mit der Haushälterin von Malmaison verwandt. Cousin zweiten Grades oder Neffe oder so was in der Art.«
Meine Kopfhaut und meine Handflächen sind plötzlich wie elektrisiert. »Mit der Haushälterin? Sie meinen Pearlie?«
» Pearlie! Das ist der Name!« Burley lacht. »Jesse hat hinund wieder von ihr erzählt, und nicht nur Gutes! Seine Mama war irgendwie mit Pearlie verwandt.«
Ich springe so plötzlich auf, dass mir für eine Sekunde schwindlig wird. »Verzeihen Sie, Mr. Burley, aber ich muss los.«
»Sicher, Miss. Kein Problem.«
»Ich danke Ihnen jedenfalls sehr.« Ich bin bereits auf dem Weg zu meinem Wagen.
»Hey, hören Sie!«, ruft Burley mir hinterher. »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, was Ihr Dad drüben in Nam getan hat. Er ist lebend zurückgekommen, und das ist die Hauptsache.«
Tatsächlich?, frage ich mich, während ich zu meinem Audi gehe. Ist es das wirklich?
»Er hat uns diesen Huey gebaut«, sagt Burley noch. »Jeder, der so was Schönes bauen kann und dann auch noch verschenkt, ist im Grunde ein herzensguter Kerl, wissen Sie?«
Nein, weiß ich nicht, denke ich, während ich in den Wagen steige. Ich weiß überhaupt nichts mehr.
24
P earlie Washington sitzt auf ihrer Veranda und liest die Zeitung, als ich den Audi auf den Parkplatz hinter den Sklavenquartieren steure. Der Acura von Tante Ann ist noch nicht wieder da – oder er war inzwischen da und ist wieder weg –, doch der Lincoln meines Großvaters steht dort. Allerdings kann ich Billy Neal nirgendwo sehen, und darüber bin ich froh.
»Wo warst du?«, fragt Pearlie, ohne von ihrer Ausgabe des Natchez Examiner aufzublicken. Sie trägt Straßenkleidung und eine Lesebrille. Es ist ein teures Modell, im Gegensatz zu den Wal-Mart-Sonderangeboten, die meine Mutter trägt.
»Unterwegs.«
» Unterwegs? Das klingt wie eine von den Antworten, die du mir gegeben hast, wenn du als Teenager hinter den Jungen her warst.«
»Ich war nie hinter Jungen her. Die Jungen waren hinter mir her.« Auf Pearlies Veranda stehen zwei Schaukelstühle. Ich setze mich in den freien.
»Frag gar nicht erst«, sagt sie. »Ich hab dir alles erzählt, was ich weiß.«
»Worüber?«
»Was immer du fragen willst.«
Ich blicke zu den blühenden Rosenbüschen. »Pearlie, ich denke, du könntest von heute bis nächste Woche reden und hättest mir längst noch nicht alles erzählt, was du über diese Familie weißt.«
»Ich werde nicht fürs Reden bezahlt, Mädchen. Ich werde dafür bezahlt, das Haus sauber zu halten.« Sie leckt
Weitere Kostenlose Bücher