Bist du mein Kind? (German Edition)
vermuten, der uns da so sitzen sieht.
Wie durch einen Wattebausch höre ich plötzlich Gelächter und Geschrei. Meine drei Söhne kommen um die Ecke gerannt. Laurent bleibt vor mir stehen und strahlt mich an:
„Monika, ich will meinen beiden Kumpels hier unser neues Haus zeigen. Darf ich?“
„Du musst nicht mich fragen, es ist ja nicht mein Haus“, sage ich sanft zu ihm.
„Okay“, ruft er und schon sind sie verschwunden.
Wir sehen den dreien nach.
„Was tun wir?“ fragt Claude in die Stille hinein.
Als ich zweimal geschluckt habe und sicher bin, einen anständigen Ton heraus zu kriegen, antworte ich:
„Ich weiß es nicht. Wolfgang und ich sind schon so lange in diesem Thema und denken über nichts anderes nach. Wir wissen es nicht. Wir finden einfach keine Lösung. Egal, in welche Richtung wir denken, es gibt immer Verlierer. Und das wollen wir nicht. Im Grunde genommen wollen wir nur das, was für Laurent das Beste ist. Aber dazu müsste er wissen, wer er ist.“
Isabelle nimmt meine Hand:
„Eure Spezialisten in der Pension oben, wissen doch sicher, was man in einer solchen Situation tut?“
„Ich habe keine Ahnung, das sind eigentlich mehr so Spezialisten, die der Polizei zu arbeiten, wenn es darum geht, Ermittlungen dort weiter zu führen, wo den Behörden aus gesetzlichen Gründen die Hände gebunden sind. Aber wir wussten nicht, an wen wir uns wenden sollten, als Laurent bei uns war und wir den Verdacht hatten, er könnte unser Sohn sein. Deshalb habe ich Jean-Marie angerufen und ihn gebeten, uns zu helfen. Was er dann ja auch getan hat.“
Wieder sehe ich zu Wolfgang und übersetze alles, denn ich möchte unbedingt, dass er weiß worüber wir reden, wenn hier Namen fallen.
Er nickt und sagt dann zu Claude und Isabelle:
„Wir sind nicht hierher gekommen, um Ihnen Laurent zu entreißen. Schließlich lebt er bei Ihnen wesentlich länger, als er bei uns war. Er erinnert sich nicht mehr an uns. Deshalb möchten wir eine Lösung finden, die für IHN am besten ist. Sie müssen aber auch verstehen, dass er unser Sohn ist, dass meine Frau ihn geboren hat und sicherlich können Sie sich nicht vorstellen, welches Leid wir die letzten neun Jahre ertragen haben. Unsere Familie wäre fast zerbrochen. Wir alle haben große Narben auf unserer Seele, die auch nicht mehr verheilen werden. Deshalb möchten wir, dass Laurent weiß, wer er ist. Wahrscheinlich wird ihn das auch in eine tiefe Krise stürzen, aber wir alle können ihn auffangen, indem wir ihn nicht unter Druck setzen. Wir werden am Samstag von hier wieder abreisen. Bis dahin sollte uns etwas eingefallen sein, wie wir das Ganze angehen. Zu unserem „Superteam“ gehört ein Psychologe, mit dem wir schon lange und ausführlich gesprochen haben. Er scheint sehr fähig zu sein. Mein Vorschlag wäre, dass wir vier Eltern uns mit ihm zusammensetzen und überlegen, wie es weiter gehen soll“.
Er sieht mich auffordernd an und ich übersetze.
Claude und Isabelle sagen nichts.
„Wir sind sehr froh, dass Sie das so nüchtern sehen“, antwortet Claude.
„Seit gestern leben wir in einer latenten Angst, dass Sie Laurent mitnehmen wollen nach Deutschland, was ja auch verständlich wäre. Wir waren so entsetzt, als wir Leon gesehen haben. Ich wusste gar nicht, was ich sagen soll. Offensichtlicher ging es ja schon gar nicht mehr.
Schlagartig wussten wir, dass wir nun Hauptakteure in einem schlechten Film sind. So etwas kann es doch eigentlich nicht geben.
Aber Sie haben Recht, wir müssen eine Lösung finden. Ihr Sohn lebt seit fast zehn Jahren bei uns und er ist doch auch unser Sohn. Aber wir müssen an ihn denken.
Treffen wir uns mit Ihrem Psychologen. Einverstanden“.
Ich bin ihm so dankbar und so erleichtert, dass sie uns nicht einfach von ihrem Grundstück jagen, dass ich nichts sagen kann. Und schon wieder muss ich weinen.
Wolfgang sieht mich an und schnell reiße ich mich zusammen. Als ich ihm alles übersetzt habe, atmet er erleichtert auf.
„Wir danken Ihnen sehr für Ihr Verständnis. Ich würde jetzt gerne mit meiner Frau ein Stück spazieren gehen. Sicher wollen Sie auch alleine sein. Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir Leon und Timo hier bei Laurent lassen? Wir holen sie später ab.“
Ich übersetze und Isabelle nickt zustimmend mit dem Kopf.
Wir stehen auf und gehen auf die Straße in Richtung Zentrum.
Schweigend. Nachdenklich. Ergriffen.
Keiner von uns beiden ist in der Lage, seinen Gedanken- und Gefühlssturm in Worte zu
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