Bist du mein Kind? (German Edition)
packen. In mir flattert alles. Ich habe ein Gefühl, als würden alle meine Organe einen neuen Platz suchen. In meinen Ohren rauscht es und mir ist es ein ganz klein wenig übel.
Der Knoten meldet sich. Leicht und noch weit weg, aber er ist auf dem Weg.
Ich nehme Wolfgangs Hand und sage:
„Halt mich. Ich kann nicht mehr.“
Er deutet auf eine kleine Mauer und wir setzen uns hin.
Ich spüre, dass er mich ansieht. Ich drehe meinen Kopf, um ihn auch ansehen zu können.
Er sieht verzweifelt aus. So, wie ich mich fühle.
„Und jetzt?“ frage ich ihn.
Er zuckt mit den Schultern. Und er schüttelt den Kopf, was heißen soll, dass er es auch nicht weiß.
„Jean-Marie?“ frage ich ihn. Er nickt.
Wir stehen auf und steuern die Pension an.
Niemand sitzt draußen. Also gehen wir hinein.
Im Wohnzimmer ist eine hitzige Diskussion im Gange. Jean-Marie und Auguste schreien sich fast an. Die anderen haben eine kleine Gruppe um sie herum gebildet und lauschen. Ich bleibe in der Tür stehen. Fassungslos.
Es geht um mich. Auguste brüllt gerade Jean-Marie an, dass er um mich kämpfen soll, weil man so eine Frau wie mich nicht einfach ziehen lassen soll.
Jean-Marie brüllt zurück, dass er kein Schwein ist und deshalb keine Familie zerstört, weil wir ohnehin schon genug gelitten haben und momentan wieder in einer schlimmen Situation stecken.
Leise trete ich zurück. Ich schiebe Wolfgang zur Tür hinaus und bedeute ihm, zu schweigen. Das letztere ist eigentlich überflüssig, denn er redet ja sowieso selten.
Draußen erkläre ich ihm, worum es ging in der Diskussion. Ich kann im Moment einfach keine Geheimnisse vor ihm haben, da wir das Ganze hier nur zusammen durchstehen können.
Er schnaubt und sagt leise:
„Ich glaube, ich kann Auguste jetzt nicht mehr leiden“.
„Ach Schatz, wir haben nur einen kleinen Ausschnitt mitbekommen, wir wissen ja nicht um den ganzen Inhalt dieser lautstarken Diskussion. Für die Männer ist das auch grad‘ mal ziemlich blöd. Sie sitzen hier untätig in der Pension herum und wissen nicht, was ihre Aufgabe ist. Ich weiß es ehrlich gesagt, auch nicht. Im Grunde brauchten wir nur Auguste.“
„Und du brauchst Jean-Marie“, sagt Wolfgang leise.
„Ich brauche dich. Das mit Jean-Marie ist geklärt. Wir haben gestern Abend einen langen Spaziergang gemacht und es ist alles gut. Ich brauche dich“.
„Gut. Dann gehen wir jetzt nochmal da rein“, sagt er.
Und dann trampelt er die kleine Treppe rauf und poltert gegen die Tür.
„Hallo, jemand da?“ ruft er auf Deutsch.
Ich bin direkt hinter ihm und sehe ins Wohnzimmer. Sieben Männer sitzen da und grinsen.
In wilder Harmonie. Ich sehe Jean-Marie an, dass er sehr aufgewühlt ist. Er kann meinen Blick nicht erwidern und schaut auf Wolfgang.
„Alles gut? Oder ist etwas passiert?“
Der Einfachheit halber, damit alle mich verstehen, rede ich auf Französisch weiter.
„Es ist jede Menge passiert. Laurents „Eltern“ haben gestern schon die Ähnlichkeit zwischen Leon und Laurent bemerkt und sich so ihre Gedanken gemacht. Heute hat mich Isabelle darauf angesprochen. Tja und dann haben wir uns gegenseitig unsere Geschichten erzählt. Uns fehlt zwar
noch das Wissen, wie Laurent zu ihnen gekommen ist und wie das mit der Adoption war, aber das ist im Moment zweitrangig. Jetzt wissen wir alle vier nicht mehr weiter. Claude und Isabelle sind bereit, sich mit euch zu treffen.“
Auguste klatscht in die Hände.
„Ha, wusst‘ ich’s doch. Manchmal entwickeln Geschichten eine Eigendynamik, die einfach nicht mehr zu stoppen ist. Da reichen schon kleinste Auslöser. Hier war es nun die Ähnlichkeit der Brüder!“
Ich möchte, da ich nun die Diskussion miterlebt habe, ein paar Dinge klären.
Also blicke ich in die Runde und sage zu Jean-Marie:
„Ist es überhaupt nötig, dein halbes Team hier zu haben? Jetzt scheint doch alles glatt zu laufen. Warum schickst du deine Leute nicht nach Hause zu ihren Familien? Sie sind doch alle schnell erreichbar, wenn du sie brauchst, n’est-ce pas?“
„Du hast Recht. Wir haben auch schon darüber nachgedacht. Eigentlich reicht es, wenn Auguste und ich hierbleiben. Genaugenommen brauchst du mich hier auch nicht.“
Er hat sehr leise gesprochen, so als fürchte er, dass Wolfgang ihn doch verstehen könnte.
Alle Augen ruhen auf mir. Was sage ich jetzt?
Als ich antworte, bemühe ich mich, meine Stimme neutral klingen zu lassen.
„Also, Jean-Marie, du warst von Anfang an für uns da und
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