Bist du mein Kind? (German Edition)
geht es mir durch den Kopf.
‚Wo ist mein Sohn? Woran hält er sich fest?‘ Ich kann nicht weiter denken. Ich halte es nicht aus. In meiner Brust ist etwas heiß und trocken und tut mir weh. Es will nach oben.
Es fühlt sich an, als wollte ein gewaltiger Schrei sich Bahn brechen. Aber ich kann doch jetzt hier nicht schreien. Ich würge die trockene Hitze wieder hinunter. Mit einem Glas Wasser spüle ich alles wieder weg.
Als Frederic aufsteht und ins Haus geht, lehne ich mich an Wolfgang. Er zittert.
„Was sollen wir tun?“ fragt er leise.
„Bleiben wir oder geben wir Maxi auf und fahren nach Hause? Wie sollen wir unser Haus betreten? Hältst du das aus?“
Er sieht mich fragend an.
Halte ich das aus? Bin ich nicht die Starke, die alles zusammenhält und für ihre Familie da ist?
Aber so stark? Andererseits muss ich wohl alles aushalten. Wir haben noch zwei Kinder. Wir hatten drei. Hatten?
Was passiert eigentlich mit den entführten Kindern, wenn diese perversen Schweine mit ihnen fertig sind? Diese Frage schießt mir durch den Kopf. Niemand hat uns das bisher erklärt.
Aufspringen und rüber zum Haus laufen, sind eins. Die Küchentür steht weit auf. Ich stürme hinein und finde nur Marie. Sie sitzt am Küchentisch und schält Kartoffeln.
„Wo sind die beiden?“ frage ich atemlos.
Sie zeigt mit dem Messer rüber zum Schuppen. Im Laufschritt flitze ich wieder über den Hof.
„Wo willst du hin?“ ruft Wolfgang.
„Bleib du bei den Kindern!“ antworte ich im Vorbeilaufen. Gerade als ich die Tür des Schuppens aufreiße, steht Jean-Marie vor mir. Weil ich so abrupt bremsen muss, stolpere ich in seine Arme. Er fängt mich auf und hält mich einen Moment zu lange im Arm. Schnell befreie ich mich und frage bang:
„Was passiert mit den Kindern ... danach? Wo bleiben sie? Sag, ihr müsst das doch wissen, ihr habt doch so lange an der Sache gearbeitet. Habt ihr mit Kindern gesprochen, die diesen perversen Schweinen entkommen sind?“
Jean sieht mich erschrocken an.
„Vor dieser Frage habe ich mich gefürchtet. Ich wundere mich, dass du nicht schon früher danach gefragt hast.“
Jetzt sehe ich ihn erschrocken an.
„Sag es mir, bitte. Ich muss die Wahrheit wissen. Haben diese Kinder eine Chance, frei zu kommen und zu ihren Familien zurück zu kehren?“
Mein Herz zerspringt fast vor Angst, weil ich ahne, was Jean antworten wird. Doch er schüttelt nur den Kopf und geht ‚rüber Richtung Haus.
Als ich hinterher laufen will, hält mich Jean-Marie fest.
„Komm, wir gehen ein Stück. Ich werde dir alles erklären. Allerdings brauchst du jetzt nochmal viel Kraft. Aber ich bin ja bei dir.“
Er legt seinen Arm um meine Schultern und diesmal durchzuckt mich nichts. Die Anspannung lässt mich gar nichts spüren.
„Also?“ fragend schaue ich ihn an.
„Also“, er zögert. „Also, es ist so. Bisher haben wir noch kein Kind lebend gefunden. Aber wir haben auch kein totes Kind gefunden. Genaugenommen, haben wir nicht herausfinden können, was mit ihnen geschieht. Hinterher.“
„Aber, aber die können doch nicht alle Kinder bei sich behalten, bis sie erwachsen werden und zur Polizei gehen. Sie müssen irgendetwas mit ihnen machen, wenn, wenn sie sie nicht mehr brauchen.“
Wie schrecklich das klingt, als wären die Kinder eine Ware. Aber für diese Dreckschweine sind sie es wahrscheinlich auch.
„Jean-Marie, bitte, sag etwas. Lass mich hier nicht so stehen. Ich muss irgendetwas von dir bekommen, damit ich nicht verrückt werde. Irgendwas wisst ihr doch bestimmt. Und wenn es nur Vermutungen sind, bitte, sag es.“
Er lässt mich los, dreht sich zu mir, sodass er mir gegenüber steht. Fast kann ich seinen Körper spüren.
Er sieht mich mit einem Blick an, den ich überhaupt nicht deuten kann. Als er tief Luft holt, weiß ich, dass jetzt etwas Schreckliches kommt.
Ich wappne mich innerlich, um dem standzuhalten.
„Chérie, wir vermuten, dass die Kinder hinterher Richtung Balkan entlassen werden. Es gibt in Rumänien und Tschechien viele Waisenhäuser mit Kindern aus allerärmsten Familien oder von Nutten, die von Freiern schwanger werden. In diese Häuser bringt man die Kinder und lässt sie vor sich hin vegetieren. Wir haben bereits mehrmals versucht, dorthin zu gelangen und Einblick zu bekommen in die Bücher dieser Waisenhäuser. Keine Chance. Die rumänischen und tschechischen Behörden halten da die Hände auf und werden von den kriminellen Organisationen, für deren Verhältnisse,
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