Bist du mein Kind? (German Edition)
als ich beide anschnauzen will, erscheint Frederic in der Tür.
„Essen ist fertig!“ ruft er aus.
Mal wieder erlösen uns seine Worte aus unserer Starre, in der jeder von uns fest steckt.
Leon hat noch das Katzenbaby auf dem Arm und Wolfgang klemmt sich Timo genauso unter seinen Arm. Leon lacht und ruft: „Papa, Timo ist doch keine kleine Katze!“.
Wolfgang schaut an sich herunter auf Timo.
„Sieh mal, aber Timo lacht und gefällt sich ganz gut als Katze!“
Leon lacht auch und wir gehen gemeinsam ins Haus.
„Ich hole meine Eltern rüber, dann können wir zusammen essen“, sagt Jean-Marie und stiefelt Richtung Haus.
Ich gehe rein und bin mal wieder erstaunt über Frederic: Der Tisch ist gedeckt, es duftet köstlich, die Kinder sitzen schon am Tisch, das Katzenbaby sitzt in der Küche vor einer Schale und frisst etwas. Was sollen wir bloß zuhause ohne Frederic anstellen? Er ist im Moment unser ruhender Pol und unsere Stütze. Obwohl ich ihn erst ein paar Tage kenne, kommt es mir so vor, als wäre er schon ewig für uns da. Was macht er wohl im normalen Leben, wenn er nicht gerade für eine geheime Organisation unterwegs ist? Vielleicht kann er uns nach Deutschland begleiten.
Jetzt erst stelle ich fest, dass sich ganz langsam der Gedanke, nach Hause zu fahren, in mein Bewusstsein schleicht. Und ich erschrecke. Verdrängen, Monika, verdrängen.
Jean-Marie kommt alleine zurück. Fragend sehe ich ihn an.
„Meine Eltern haben drüben schon eine Kleinigkeit gegessen und sich etwas hingelegt. So langsam geht meinem Vater die ganze Sache unter die Haut. Und meine Mutter ist sowieso fix und fertig. Wenn ihr nichts dagegen habt, esse ich alleine mit euch.“
„Natürlich haben wir nichts dagegen“, antwortet Wolfgang etwas zu schnell. Aber er hat ja Recht. Irgendwie sind wir alle schon so vertraut miteinander, dass es keine Rolle spielt, dass alle um uns herum sind. Im Gegenteil, uns würde etwas fehlen, wenn sie nicht da wären.
Wir essen eine burgundische Kartoffeltorte mit frischem Salat und Baguette. Alles wirkt friedlich und beschaulich. Und doch hat uns das Elend fest im Griff.
Nach dem Essen räumen wir alle gemeinsam ab. Wolfgang bringt Timo ins Schlafzimmer und legt ihn zum Mittagsschlaf hin. Kurz schaut er nochmal aus der Tür:
„Schatz, ich bin am Ende, ich lege mich auch etwas hin.“
„Ja Liebling, mach das“. Ich gehe zu ihm und streiche über sein Gesicht. „Versuch, etwas zur Ruhe zu kommen. Das wird dir guttun.“
„Was machst du? Versuch‘, auch etwas abzuschalten, wir haben noch lange an diesem Elend zu kauen. Da kann ein wenig Ruhe nicht schaden.“
„Ich bleibe hier bei Leon und trinke noch einen Kaffee mit Frederic und Jean-Marie“. Bewusst habe ich Frederic zuerst genannt, damit Wolfgang sich nicht verletzt fühlt. Er küsst meine Wange und schließt die Schlafzimmertür. Leon sitzt auf dem Spielteppich und baut mit Lego. Ich setze mich zu ihm.
„Liebling, wie geht es dir? Fühlst du dich elend oder traurig?“
Er sieht mich erstaunt an. „Nein Mama, dann hätte ich dir doch Bescheid gesagt. Das haben wir doch heute Morgen besprochen.“
Tapfer blickt mir der kleine Mann ins Gesicht. Ich nehme ihn ganz fest in die Arme und wiege ihn ein bisschen hin und her. Er lässt es zu.
Nach einer Weile sagt er:
„Jetzt muss ich aber hier ein Lego-Haus bauen, nun lass mich mal.“
Ich lasse ihn los. Auf dem Weg zur Küche sehe ich, dass Jean-Marie und Frederic in ein intensives Gespräch vertieft sind. Soll ich mich dazusetzen? Vielleicht erfahre ich ja noch etwas, das uns weiter hilft.
Ich entscheide mich dagegen und mache Kaffee. Während der durch die Maschine blubbert, beobachte ich unsere beiden französischen „Freunde“, die wie selbstverständlich in unserer Ferienküche sitzen.
Was, wenn wir Frankreich verlassen? Werden sie sich dann noch um die Suche nach Maxi kümmern? Oder bemühen sich alle nur so lange wir noch hier sind? Wenn wir erst mal weg sind, ist denen vielleicht auch alles egal und keiner hilft uns mehr. Oder ist es besser, von zuhause aus die deutsche Polizei einzuschalten? Schließlich vermuten sie ja nun die Kinder in Ungarn. Von Frankreich aus geht ja nun nichts mehr, das haben sie selbst gesagt.
Gedanken, wirr und ohne Verstand. Es dreht sich in meinem Kopf alles im Kreis.
Ich finde einfach keine Lösung.
Also gut, trinken wir erst mal Kaffee.
Als ich zum Tisch komme, verebbt das Gespräch. Warum? Was haben die beiden zu erzählen, das
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