Bitte Einzelzimmer mit Bad
Hotel abgeliefert habe, ist es meistens schon nach acht, und ich gehe auf dem Zahnfleisch. Bis ich mich dann halbwegs erholt und restauriert habe, ist Mitternacht.«
»Okay, Tina, das Argument lasse ich gelten«, lachte er, »dann hole ich dich übermorgen um sechs im Lido ab!«
»Lieber um halb acht, ich komme erst gegen sieben aus Nizza zurück. Hammelherden-Trip nach Frankreich.«
»Armes Aschenbrödel. Nach Frankreich fährt man entweder nur zu zweit oder gar nicht! Ciao bis übermorgen!«
Noch lange starrte Tinchen auf den Hörer in ihrer Hand, ehe sie ihn endlich auflegte. Sie freute sich auf das Wiedersehen, aber sie hatte auch ein bißchen Angst. Jener Abend in Corsenna lag so weit zurück und schien ihr heute so unwirklich, daß sie sich nicht vorstellen konnte, den Faden dort wieder anzuknüpfen, wo er damals so abrupt zerrissen war. Sie schmunzelte in sich hinein. Wochenlang interessierte sich überhaupt kein Mann für sie, und jetzt umbalzten sie gleich zwei, wobei Florian natürlich nicht zählte. Für den gehörten Flirts genauso zum täglichen Leben wie Hot dogs und Aspirin.
Der Vormittag verging quälend langsam. Tinchen arbeitete unkonzentriert, verrechnete sich ständig und hatte zum Schluß zwei Einzelzimmer übrig, was noch nie vorgekommen war und sowieso nicht stimmen konnte.
Endlich erschien Sergio. »Scusi, Tina, aber ich bin noch einmal oben bei Ercole gewesen und habe die künftigen Safaris mit ihm durchgesprochen. Er wollte gar nicht begreifen, weshalb wir einiges ändern müssen. Angeblich ist er trotz der Weinschwemme auf seine Kosten gekommen, und den Gästen habe es doch auch gefallen. Er freut sich schon auf die nächsten. Kannst du das verstehen?«
»Frag’ ihn in sechs Wochen noch mal!« Sie schob Sergio die Listen hinüber. »Zähl’
du
mal nach, ich kriege immer was anderes raus.«
»Gleich. Ich habe dir doch noch etwas mitgebracht.« Er zog einen großen Briefumschlag unter seinem Hemd hervor und gab ihn Tinchen. Neugierig öffnete sie. Zum Vorschein kam ein Steckbrief. »Wanted!« stand oben drauf, und in der Mitte prangte ihr Foto. Wie ein Klammeraffe hing sie auf dem Esel, griente dümmlich vor sich hin und entsprach so gar nicht der Warnung, die auf dem Steckbrief zum Ausdruck kam. Gefährlich sollte sie sein, rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch machen und scharfe Zähne haben. Zehn Millionen Lire waren auf ihren Kopf ausgesetzt.
»Was soll denn dieser Blödsinn?«
»Eine Idee von Mario. Der hat das mal irgendwo gesehen und sofort nachdrucken lassen. Jetzt bildet er sich ein, daß er auf diese Weise seine Safari-Schnappschüsse schneller los wird.«
»Der Kerl spinnt doch! Wieviel verlangt er denn dafür?«
»Dreitausend Lire.« Sergio nahm Tinchen das Plakat aus der Hand und nagelte es ans Schwarze Brett, direkt neben die Esel-Reklame.
»Bist du verrückt? Nimm das sofort wieder runter! Häng’ dich doch selber auf!«
»Ich bin längst nicht so fotogen wie du«, behauptete Sergio und malte liebevoll einen dicken roten Rand um den Steckbrief. »Was glaubst du wohl, wie werbewirksam dieses Foto ist! Jeder, der diese jämmerliche Gestalt sieht, ist doch davon überzeugt, daß er selbst eine viel elegantere Figur abgeben wird. Und weil er das beweisen muß, wird er eine Safari buchen!« Dann machte er sich über die Listen her. »47 Abreisen, 79 Ankünfte, stimmt bis zum letzten Bett!« erklärte er nach einer Weile.
»Noch!« sagte Tinchen. »In der nächsten Woche beginnen in Deutschland die Schulferien, und dann wird’s lustig.«
»Ich weiß. Es geht schon das Gerücht um, daß man an den Stränden Lautsprecher anbringen will. Alle dreißig Minuten ertönt das Kommando ›Bitte wenden!‹, damit sich die Sonnenhungrigen auf die andere Seite drehen können.«
Noch vor dem Essen hatte Tinchen beschlossen, den Nachmittag freizunehmen. Hatte nicht Gottlieb Maria behauptet, blasse und überarbeitete Reiseleiter seien eine schlechte Reklame für das Unternehmen? Wo sollte denn die Bräune herkommen, wenn nicht vom Strand? Außerdem hatte sich im Laufe der Zeit herausgestellt, daß sich nachmittags nur selten Besucher im Büro einfanden; die kamen überwiegend morgens, bevor sie zum Strand gingen, oder allenfalls gegen zwölf, wenn sie auf dem Weg zur Futterkrippe waren. Danach waren sie in der Regel müde und hatten keine Lust mehr, sich mit ihrer auch nicht viel muntereren Reiseleiterin herumzustreiten. Wofür Tinchen ihnen dankbar war.
Florian
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