Bitte sagen Sie jetzt nichts
von der Bühne in den Zuschauerraum zu bringen, diese Begeisterung hat meiner Ansicht nach einer gewissen Körpersprache Platz gemacht. Wir haben zu wenig Augenmerk auf das gesprochene Wort. Und das ist eigentlich das, was im Theater stattzufinden hat.
Everding Wir haben ja beide die 68er-Jahre mitgemacht. Ich erinnere mich, dass die Schauspieler gar nicht mehr sprechen können wollten. Sie wollten schludrig sprechen - »das blöde Publikum soll doch aufpassen, dass es uns versteht« -sie wollten nicht verstanden werden, das hielten sie für einen Hoftheater-Stil.
Loriot Das ist ein fataler Irrtum. Was hat das Publikum von einem Drama, bei dem es die Worte und den Sinn nicht ganz versteht? Dass man einen guten Schauspieler oder einen beweglichen Menschen sieht, das reicht nicht. Er muss etwas transportieren, was vielleicht vor ein paar hundert Jahren geschrieben und gedacht worden ist und was an Gültigkeit nicht verloren hat. Wenn er das nicht rüberbringt, kann er es auch lassen.
Everding Das heißt aber, dass der Schauspieler nicht nur sprechen können muss, er muss das auch denken können, was er spricht.
Loriot Er muss es auch fühlen.
Everding Er muss es denken und fühlen, um es zu übermitteln. Spürt man eigentlich, wenn man oben steht, ob das, was man tut, unten ankommt?
Loriot O ja, man merkt es sehr deutlich, ich kann schwer sagen, worauf es beruht, aber man merkt sehr deutlich, was einem da entgegenweht, und man muss sich danach richten können. Ein Tempo anziehen, ein Tempo verlangsamen ... Man kann da einiges tun, um an einen verlorenen, abgerissenen Faden wieder anzuknüpfen.
Everding Es ist also nichts Absolutes und nicht jede Aufführung die gleiche?
Loriot Nein, und das ist das Tolle am Theater im Gegensatz zum Kino. Was im Kino einmal drauf ist, ist drauf.
Everding Warum machen Sie denn eigentlich keine öffentlich-rechtliche Fernsehunterhaltung mehr? Sie haben sich abstinent gehalten in letzter Zeit. Sie haben gesagt, da ist zu viel Unterhaltung im schlechten Sinne.
Loriot Es ist nicht so, dass ich mich über das mokiere, was zur Zeit gemacht wird. Nein, nein, es gibt auch hervorragende Beispiele von glänzenden Könnern. Aber als ich meine ungefähr dreißig Sendungen gemacht und alle meine Sketche auf die Bühne gebracht hatte, dachte ich mir, du kannst das, was dir zur Verfügung steht, nicht besser machen. Da hör lieber auf und mach etwas anderes, bevor du von dir selber abschreibst.
Everding Ist Ihnen das Tempo im Fernsehen zu schnell? Zu viele Schnitte, zu viel Werbung, zu viel Unterbrechung?
Loriot Ja, ich weiß auch nicht, warum...
Alles was gezeigt wird, das auf Schnitten beruht, die unter einer Sekunde liegen, liegt unterhalb der Möglichkeit, es zu erkennen. Man hat dann nur ein allgemeines Gefühl von Tempo. Einigen genügt es, einfach zuzugucken - es ist ein ungeheures Kaleidoskop von Farben, Formen und Tönen. Viele haben das Gefühl, sie seien unterhalten, dabei sind sie gar nicht unterhalten, sie sind nur abgelenkt.
Everding »Tempo darf man nicht mit Temperament verwechseln«, haben Sie gesagt.
Loriot Nein, überhaupt nicht. Das wirkt sich leider auch auf die Komposition und das Zustandekommen von Filmen aus, weil man im Film nicht wesentlich langsamer sein kann als in der Werbung, oder in dem, was man da an Vorschauen sieht. Da hat alles bereits ein solches Tempo, dass ein normal geschnittener Film plötzlich zäh wirkt. Ich meine, man müsste gerade andersrum arbeiten. Man müsste wieder die Langsamkeit, die Köstlichkeit des Langsamen erkennen.
Everding Das ist der Unterschied zwischen Theater und Fernsehen. Im Theater kann immer alles passieren. Da kann plötzlich der berühmte Tenor nur noch kieksen, im Fernsehen geht das nicht, ist ja alles geschnitten, ist ja alles purifiziert. Fernsehen ist steril, nicht?
Loriot Das Tolle im Fernsehen ist natürlich, wenn etwas schiefgeht. Der live moderierende Nachrichtensprecher, dem irgendetwas passiert. Eine glückliche Nation liegt ihm zu Füßen, weil er sich versprochen hat oder weil er irgendwohin guckt und nicht weiß, wo jetzt die richtige Kamera ist, warum der Film jetzt nicht eingespielt wird. Man ist glücklich, dass das passiert, weil man dann weiß: Es lebt.
Everding Der Zuschauer weiß dann, dass das auch ein Mensch ist, keine Puppe.
Nehmen Sie sich selbst ernst?
Loriot Nein, ich nehme mich nur dann ernst - das habe ich vorhin angedeutet -, wenn ich für jemand anders arbeite und etwas herstelle, das
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