Bitte Zweimal Wolke 7
Finger.
Ich schüttele heftig den Kopf. »Nein, das solltest du wirklich nicht. Du bist ein ganz, ganz böses Mädchen. Gib die Flasche mal besser mir!«
Nach der Geisterbahn gehen wir Dosen werfen. Dann in die Achterbahn. Und später Zuckerwatte essen. Ich beobachte, wie Chrissi große Stücke Zuckerwatte abreißt und sie Pascal in den Mund stopft, der danach jedes Mal genüsslich ihren Finger ableckt. Ich denke an Stefans Finger und wie er mich heute Morgen durchs Wasser geschoben hat, und plötzlich will ich ganz dringend noch etwas trinken. Von Zuckerwatte wird man ja auch immer so durstig. Bobby ist schon 17 und besorgt uns eine Runde Bier und nach dem vierten Schluck kann ich endlich wieder an etwas anderes denken als an Stefans Finger. Obwohl ich ja eigentlich gar nicht an etwas anderes denken will. Kim entdeckt einen Obststand und wir stecken uns gegenseitig kandierte Weintrauben und Erdbeeren in den Mund. Auf einmal halten wir alle Schokobananenin den Händen und machen alberne Witze, als Pascal plötzlich ein Kondom aus der Hosentasche fummelt, es auspackt und über Chrissis Banane stülpen will. Wir brüllen vor Lachen. Ich greife wieder nach meiner Bierflasche und kann auf einmal gar nicht mehr verstehen, warum ich vorhin noch nach Hause wollte. Ich taumele ein bisschen und halte mich vorsichtshalber an meinem Nebenmann fest. Ein ziemlich bulliger Typ mit einem braunen Sankt-Pauli-T-Shirt. Der rülpst mir freundlich ins Ohr und schiebt mich zu Kim zurück. Irgendwie sind plötzlich alle so lieb zu mir. Im Moment würde ich sogar Alex ertragen, da bin ich mir ganz sicher. Ich fühle mich ein bisschen wackelig, vielleicht sollte ich mich besser mal setzen. Das kommt bestimmt von der Achterbahn. Vorsichtshalber lasse ich mich auf den Boden sinken. Im Schneidersitz. Sehr elegant. Witzig, wie viele verschiedene Schuhe hier unten so herumlaufen. Ich fange an zu kichern.
»Karo!« Kim rüttelt an meiner Schulter. »Karo, du solltest besser aufstehen.«
Aufstehen? Ich mag aber noch gar nicht aufstehen. Ich fühle mich ganz wohl hier unten zwischen all den Beinen. Oben wackelt alles, hier unten ist es deutlich besser.
»Karo! Bitte! Du kriegst gleich ziemlichen Ärger!« Kim lässt nicht locker.
»Kimmilein, bitte, sei ein Schatz. Lass mich nur fünf Minuten sitzen. Es dreht sich alles gerade so schön.« Ich will Kim zu mir runterziehen, aber die Person, die neben mir steht, ist gar nicht Kim.
»Steh sofort auf! Karolin, würdest du bitte von da unten hochkommen!«
Wieso klingt die Stimme, die von irgendwo oberhalb der fremden Beine zu mir herunterdringt, wie mein Vater? Ich blinzele gegen meinen Drehschwindel an und fühle mich schlagartig nüchtern.
Ich wette, die Chancen, auf dem Hamburger Dom unter Tausenden von Besuchern zufällig seinem Vater in die Arme zu laufen, stehen eins zu einer Million. So was kann wirklich nur mir passieren.
»Wird’s bald?«
Papa steht mit verschränkten Armen vor mir und macht keinerlei Anstalten, mir zu helfen. Um uns herum hat sich bereits ein kleiner Kreis aus Neugierigen gebildet.
Ich rappele mich auf und klopfe umständlich ein bisschen Staub von meiner Jeans. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Kim bedauernd mit den Schultern zuckt. Die anderen haben sich vorsorglich gleich ganz zurückgezogen. Feige Bande. Der Boden schwankt noch ein wenig und ich greife Halt suchend nach Kim.
Worüber habe ich eben noch so gekichert? Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern. Überhaupt fällt es mir schwer, meinen Gedanken so etwas wie eine geordnete Richtung zu geben.
Tatsächlich fühle ich mich gerade alles andere als leicht und fröhlich. Papa nimmt mir die Bierflasche aus der Hand und schmeißt sie kommentarlos in die nächste Mülltonne.
He, da war noch Pfand drauf
, möchte ich rufen, halte aber nach einem Blick in das Gesicht meines Vaters lieber den Mund.
»Ich besorge dir jetzt ein Taxi und du fährst auf der Stelle nach Hause.« Papa greift nach meinem Oberarm und verhindert damit, dass ich nach hinten kippe.
»Papa, ich …« Ich würde jetzt gerne irgendetwas Schlaues sagen, aber schon für diese zwei Worte brauche ich eine Ewigkeit. Warum ist das Sprechen auf einmal so schwierig?
»Wir gehen!«
Mit diesen Worten schiebt mich mein Vater Richtung Ausgang. Kein Wort von ihm zu Kim oder zu den anderen. Auch kein weiteres Wort zu mir. Dabei wäre es mir viel lieber, er würde jetzt schimpfen und toben. Dann könnte ich zurückschimpfen und toben
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