Bitter Lemon - Thriller
das ehemalige Fotostudio mit einem aus Beton gegossenen und weiß getünchten künstlichen Endloshorizont, der die komplette rückwärtige Kopfseite der Fabrikhalle ausfüllte. Die sechs Duschköpfe und der Endloshorizont waren die einzigen Hinterlassenschaften der insolventen Werbeagentur. Alles andere hatten die Männer in den Geländewagen hertransportiert: Kamera, Stativ, Scheinwerfer, Kabeltrommeln, Spiegel, Haarbürsten, Schminkzeug, frische Kleidung und Unterwäsche. Bevor die Frauen sich wieder anziehen durften, wurde eine nach der anderen zum Fotografieren geführt.
Der Albino überprüfte das Ergebnis auf dem Monitor eines Notebooks, das er auf einem klappbaren Campingtisch platziert hatte. Der Albino war mit fast jeder Aufnahme zufrieden. Ein gequältes Lächeln für den Bruchteil einer Sekunde genügte ihm völlig. Der Albino hatte es eilig.
Bald würde es vorbei sein. Bald würden sie die Frauen aufteilen, zum Weitertransport mit den Geländewagen, wohin auch immer, zum Weiterverkauf, an wen auch immer.
David robbte über den Gitterrost zurück, lautlos, rückwärts, Meter für Meter. Das scharfkantige Metall schnitt in seine Hände. Am Ende der schmalen Galerie waren u-förmige Tritteisen in die Wand gedübelt, die zehn Meter in die Tiefe führten. David ging in die Hocke, griff nach dem obersten Tritteisen und machte sich an den Abstieg. Er hoffte inständig auf eine kluge Idee. Er war noch knapp drei Meter vom Erdboden entfernt, als er Schritte hörte.
Die Schritte kamen rasch näher.
Zwei Schuhpaare durchquerten die dunkle Halle und steuerten auf die Tür zu. Als sie die Trittleiter passiert hatten, ließ sich David fallen, sprang auf, hämmerte seine Faust in die Niere des rechten Mannes, riss ihn herum und rammte seinen Ellbogen gegen den Solarplexus. Der Mann verdrehte die Augen und sank auf die Knie. Der andere wirbelte herum und griff in seine Jacke. In diesem Augenblick wurde die Stahltür von außen aufgerissen.
Artur.
Er hielt eine schwere Eisenstange mit beiden Fäusten. Er hob die Arme und ließ die Eisenstange auf den Rücken des Mannes krachen, noch bevor der die Pistole ziehen konnte. Der Mann brach zusammen. Artur ließ vor Schreck die Eisenstange fallen. Sie machte einen Höllenlärm, als sie auf den Beton schlug und scheppernd davonrollte.
Sie zogen die beiden leblosen Körper in einen dunklen Winkel, der im Schatten des Mondlichts lag, hinter die ehemalige Empfangstheke, und nahmen die Pistolen der Männer an sich. Russische Fabrikate. Zehn Patronen im Magazin. David zeigte Artur, wie man den Sicherungsbügel umlegte.
»Du hast echt nicht mehr alle Tassen im Schrank, David.«
»Jetzt sind es nur noch acht, Artur!«
»Das sind immer noch acht gegen zwei. Und die sind bewaffnet.«
»Das sind wir jetzt auch.«
»Aber ich bin ein miserabler Schütze.«
»Das wissen die aber nicht, Artur. Jedenfalls nicht, solange du nur damit drohst und nicht schießt. Bleib einfach hinter der Theke. Rühr dich nicht von der Stelle und denk immer dran: Unsichtbare Schützen sind die gefährlichsten Schützen.«
Was nun?
Sie hatten keinen Plan.
Es blieb auch keine Zeit, über einen Plan nachzudenken. Denn durch die Halle näherte sich eine bizarre Prozession. Die zwölf Frauen hielten sich an den Händen. Nein, sie waren an den Händen aneinandergefesselt. Sie bildeten einen Kreis, so dass die vorderen rückwärts gehen mussten. Ein Schutzschild aus Menschenleibern. Im Inneren des Kreises bewegten sich die acht Männer, schoben die Mädchen durch die Halle in Richtung Tür, rissen sie an den Haaren und drückten ihnen die Waffen gegen Stirn oder Schläfe. Die Frauen waren stumm vor Angst. Todesangst. Die Prozession war noch knapp zehn Meter von der Tür entfernt, als David sich aus der Hocke erhob, aus dem Schatten trat, in der ausgestreckten rechten Hand die Pistole.
»Aus dem Weg!«, brüllte der Albino auf Deutsch. »Sonst sind die Mädchen tot. Verschwinde von der Tür!« Um seine Worte zu unterstreichen, schwenkte er mit der rechten Hand eine kurzläufige Maschinenpistole herum. Die freie linke Hand hielt das Notebook mit den Fotos unter dem Arm geklemmt.
David bewegte sich nach links, drei Schritte, langsam, mit ausgestrecktem Arm, im Visier die Stirn des Albinos, der alle anderen im Kreis überragte. Dann griff er mit der linken Hand in die Jackentasche. Als die Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie die Zündschlüssel der Geländewagen.
»Siehst du das? Und siehst du das
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