Bitter Lemon - Thriller
9-mm-Teilmantelgeschosse, laut Haager Landkriegsordnung für Militärs verboten. Der Täter verstand sich auf Feuerwaffen.
Der Täter? Unmöglich konnte ein einzelner Täter sieben bewaffnete Männer umbringen.
Unmöglich. Nach menschlichem Ermessen.
Die bei den Toten sichergestellten Pässe stammten, sofern sie nicht gefälscht waren, aus Serbien, Albanien und Weißrussland. Der Abgleich mit den dortigen Datenbanken konnte ein paar Tage in Anspruch nehmen. Interpol war bereits eingeschaltet. Aber Interpol war ein Papiertiger.
Der Leichtverletzte, den sie zusammen mit dem Schwerverletzten in Halle VII gefunden hatten, war laut Pass ukrainischer Staatsbürger. Der Leiter der Mordkommission ließ einen Dolmetscher kommen. Aber der Mann redete kein Wort. Er starrte unentwegt an die Betondecke des Vernehmungszimmers und hätte sich eher die Zunge abgebissen. Die Botschaft der Ukraine in Berlin forderte seine unverzügliche Auslieferung, weil in Kiew angeblich ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Man war aber derzeit nicht gewillt, nähere Details mitzuteilen.
Die luxuriösen Geländewagen waren samt und sonders gestohlen, in halb Europa, nur nicht in Deutschland, und mit gefälschten rumänischen Kennzeichen versehen. Dass keine in Deutschland gestohlenen Fahrzeuge zum Einsatz gekommen waren, war methodisch clever und ließ darauf schließen, dass es sich bei den Toten um Profis gehandelt hatte, die wussten, welche unerwünschten Nebenwirkungen eine Routinekontrolle der deutschen Verkehrspolizei haben konnte.
Den Lastwagen der russischen Traditionsmarke Kamaz hatte eine vom Kollegen Heuser alarmierte Streife noch unmittelbar vor der Autobahnauffahrt stoppen können. Fahrer wie Beifahrer waren unbewaffnet und laut mitgeführtem Pass rumänische Staatsbürger. Der Lastwagen war in Bukarest auf den Namen einer Exportfirma für Agrarprodukte zugelassen, deren Werbeschriftzug sich auch auf der Lkw-Plane wiederfand. Doch die Firma existierte seit drei Monaten nicht mehr.
Der Fahrer behauptete, als freiberuflicher Subunternehmer den Auftrag erhalten zu haben, eine Fuhre Gemüse von Bukarest nach Köln zu übernehmen. Mehr wisse er nicht. Als die Beamten später auf dem Asservatenhof der Kölner Polizei die Gemüsekisten ausräumten, kam auf der Ladefläche tatsächlich ein schalldichter Verschlag zum Vorschein. Er enthielt nichts weiter als ein Belüftungsrohr zum Dach sowie zwei Zinkeimer, ganz augenscheinlich zur Verrichtung der Notdurft.
Die zwölf Frauen und Mädchen, die man in der ehemaligen Fabrik fand, wurden zunächst notärztlich versorgt. Es nahm einige Zeit in Anspruch, bis weibliche Beamte mit Hilfe von Zeichensprache und Weltatlas deren jeweilige Nationalität klären konnten. Dann erst konnten die entsprechenden Dolmetscher gesucht werden. Jedes der Opfer hatte seine eigene Geschichte. Hinter jeder Geschichte verbarg sich eine Tragödie.
Einige, vor allem die Minderjährigen, waren auf der Straße entführt, die meisten aber mit Job-Angeboten gelockt worden: Kellnerin, Zimmermädchen, Haushaltshilfe im goldenen Westen. Einer besonders hübschen und besonders blauäugigen Neunzehnjährigen war von einer Zufallsbekanntschaft in einer Bukarester Diskothek eine hoffnungsvolle Karriere als Model versprochen worden. Doch die meisten hofften lediglich auf die Chance, mit irgendeinem Job im Westen ihren Familien daheim helfen zu können. Vier der jungen Frauen waren alleinerziehende Mütter.
Die Verschleppten waren zwischen 15 und 22 Jahre alt. Man hatte ihnen gleich zu Beginn der Reise die Pässe abgenommen. Sie stammten nach eigenem Bekunden aus Rumänien, Bulgarien, Moldawien und Transnistrien.
Transnistrien?
Der Leiter der Kölner Mordkommission hatte sich stets etwas auf seine gute Allgemeinbildung und auch auf seine Geo grafiekenntnisse eingebildet. Aber von einem Staat namens Transnistrien hatte er noch nie etwas gehört.
Die telefonisch hinzugezogene Osteuropaspezialistin des Landeskriminalamtes in Düsseldorf konnte ihm weiterhelfen: Transnistrien sei ein etwa 200 Kilometer langer, aber nur knapp 20 Kilometer breiter Landstrich, gelegen exakt entlang der alten Grenze zwischen Moldawien und der Ukraine am östlichen Dnisterufer, unweit des Schwarzen Meeres. Die erst seit 1992 nach zweijährigem bestialischem Krieg gegen Moldawien exis tierende sogenannte Transnistrische Moldauische Republik werde von keinem Staat der Welt diplomatisch anerkannt, unterhalte aber zu 50 Staaten intensive
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