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Bitter Lemon - Thriller

Titel: Bitter Lemon - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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und Deckert am Fenster. Starr und stumm wie Schaufensterpuppen beobachteten sie die Szenerie und sahen zu, wie der Albino unter dem verwaisten Hummer hervorkroch, in dessen Sichtschutz über den Platz hastete und in den Mercedes sprang. Der Schatten bemerkte das erst, als der 272-PS-Motor aufbrüllte, seine Kraft auf den Allradantrieb übertrug und den Geländewagen aus dem Hof katapultierte. Der Schatten schickte ihm vergeblich zwei Kugeln hinterher. Dann war das Magazin leer, und der Schatten löste sich auf, verschwand in der Dunkelheit, wurde eins mit der Nacht.
    Das Geschrei der Martinshörner kam näher und näher.
    David richtete sich auf.
    Jemand packte ihn am Arm.
    Artur.
    »Komm, David, lass uns hier verschwinden. Was sollen wir der Polizei sagen? Wie sollen wir das hier erklären?«
    »Die Frauen …«
    »Die Frauen sind in Sicherheit. Mehr kannst du nicht tun. Die Polizei wird sich um sie kümmern. Komm jetzt!«
    Als sie die Augen aufschlug, dämmerte es bereits. Sie war noch zu betäubt vom kurzen Schlaf, um sich bereits aufzurichten, aber instinktiv drehte sie den Kopf in Richtung des weit geöffneten Giebelfensters. Dort stand David Manthey, in Boxershorts, stützte die Unterarme auf die schmale Fensterbank, starrte hinaus und rauchte gedankenverloren. Sie hatte ihn noch nie rauchen gesehen. Sie hatte ihn auch noch nie halb nackt gesehen. Obwohl sie nun schon seit drei Nächten dieses Mansardenzimmer teilten. Mehr oder weniger. Denn viel Zeit hatten sie noch nicht auf den beiden Matratzen verbracht. Sie war auch in der vergangenen Nacht lange wach geblieben, hatte auf die beiden gewartet, nachgedacht, sich abgelenkt, indem sie sich in Arturs plüschigem Wohnzimmer vor den Fernseher setzte, sich durch das geisteskranke Angebot der Privatsender zappte, bis die Müdigkeit sie übermannte.
    Sie hatte vielleicht drei Stunden geschlafen, schätzte sie.
    Seine Haare waren ganz nass und wuschelig.
    Vermutlich hatte er nach seiner Rückkehr im Erdgeschoss geduscht und war sich nun plötzlich unschlüssig, ob er sich, wo der Tag anbrach, noch schlafen legen sollte oder nicht.
    Er sah gut aus.
    Außergewöhnlich gut.
    Sie betrachtete unverhohlen die langen Beine, den muskulösen Rücken, die vertikale Einkerbung, die sich von seinen kleinen, kräftigen Pobacken bis zu seinen Schultern zog. Doch nach einer Weile fand sie ihre voyeuristische Lust kindisch.
    »Guten Morgen«, sagte sie und gähnte demonstrativ.
    Er blies den Rauch in den Morgenhimmel und sah zu ihr rüber, als sei er noch nicht ganz in der Gegenwart angekommen.
    »Guten Morgen. Stört dich der Rauch?«
    »Nein!«
    Nein? Wieso sagte sie Nein? In Wahrheit hasste sie doch kaum etwas mehr als Tabakrauch und verpestete Luft. Erst recht in Schlafzimmern. Aber in diesem Moment störte es sie tatsächlich nicht. Warum nicht? Weil sie befürchtete, er könnte sonst gehen?
    Marc war ihr erster Nichtraucher gewesen.
    Jetzt sorgte Marc sicher als Korrespondent in Peking für saubere Luft.
    Komm doch mit.
    Hatte er gesagt. Aber nicht so gemeint. Dann war er gegangen und hatte ihre Träume mitgenommen.
    Es wurde Zeit, ihn zu vergessen.
    »Wie ist es gelaufen diese Nacht?«
    David schwieg. Schließlich drückte er die Kippe in einem der ehemaligen Marmeladengläser aus, die Artur im ganzen Haus als Aschenbecher benutzte, schraubte den Deckel zu, löste sich vom Fenster und kniete sich zu ihr ans Bett.
    Nanu. Was denn jetzt?
    Er nahm ihre Hand. Zart. Seine Hand roch nach Nikotin, sein Atem nach schwarzem Kaffee. Seine Haut duftete …
    »Es war …«
    »Ja?«
    »Es war …«
    Er rang nach Worten, atmete schwer und blickte zur Decke. Schließlich, nach einer Ewigkeit, legte er ihre Hand auf dem Bettlaken ab, so vorsichtig, als sei sie zerbrechlich, und erhob sich.
    »Ich mach uns jetzt erst mal Frühstück.«
    Die Bilanz der Nacht fand am nächsten Tag nur mit viel Mühe und Fantasie ihren Platz im elektronischen Formular des Computers der Kriminalwache im Polizeipräsidium.
    Sieben Tote.
    Zwei Menschen waren bei lebendigem Leib verbrannt, stellte der Rechtsmediziner fest. Die anderen waren erschossen worden.
    Ein Schwerverletzter mit Schäden an der Wirbelsäule, die ihn für den Rest seines Lebens zum Krüppel machten.
    Ein Leichtverletzter. Prellungen und Blutergüsse.
    Aus keiner einzigen der insgesamt sieben auf dem Gelände sichergestellten Handfeuerwaffen waren die tödlichen Schüsse abgefeuert worden.
    Fünf Erschossene, nur fünf Projektile.

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