Bitter Lemon - Thriller
seine Beine, drückten ihm ein Stück Klebeband auf den Mund und drohten damit, seiner Haushälterin Gewalt anzutun. Da erst ergab sich der Pfarrer seinem Schicksal.
Ein Kinderspiel. Denn Tomislav Bralic hatte die Ergebnisse seiner aufwendigen, jahrelangen Recherchen in Osteuropa säuberlich in Aktenordern archiviert und im Bücherregal seines Arbeitszimmers deponiert. Fotos, Kopien von Dokumenten, Abschriften von Zeugenaussagen. Sie luden die Akten in einen Faltkarton und trugen ihn zu einem der beiden vor der Tür geparkten Mittelklassekombis der Marke Ford. Das war’s wohl. Sie waren äußerst gründlich gewesen, so wie sie es gelernt hatten. Aber sie hatten nichts weiter von besonderem Interesse gefunden, we der in der Sakristei der Kirche noch im Keller des Pfarrhau ses.
Sie befreiten die Haushälterin von ihren Fesseln, schärften der alten, am ganzen Leib schlotternden Frau ein, den Pfarrer frühestens in einer Viertelstunde zu befreien, und verließen ohne allzu große Eile das Haus. Erst als sie in die Wagen gestiegen waren und sich vergewissert hatten, dass niemand sie beobachtet hatte, nahmen sie ihre Sturmhauben ab.
Hätten sie geahnt, dass sich inzwischen ein kompletter Kopiesatz der Dokumente auf einem Schrottplatz in Köln-Worringen befand, so hätte sie dies nicht weiter beunruhigt. Denn ihnen ging es nicht um die Vernichtung von Beweismitteln, sondern lediglich darum, zu wissen, über welchen Kenntnisstand Zoran Jerkov verfügte.
Natürlich musste er es bemerkt haben. Lars Deckert wandte den Blick fragend zu Uwe Kern. Doch der starrte weiter in seinen Feldstecher und verzog keine Miene.
Lars Deckert sah verstohlen auf die Uhr. Seit zwei Stunden schon standen sie hier oben im zweiten Stock der Halle IV, wo dieser türkische Fernsehsender die Requisiten für die Hochzeitsvideos lagerte, und beobachteten den Hof.
»Haben Sie das gesehen?«
»Was?«
»Das war Manthey. Er ist zur Halle VII gelaufen.«
»Ich bin ja nicht blind.«
»Ist das denn zu fassen! Was macht der denn hier? Woher weiß Manthey überhaupt von der Sache?«
»Das bestätigt nur, dass wir ein Leck haben.«
»Was hat er jetzt vor?«
»Ich heiße nicht Manthey. Ich weiß es nicht.«
»Wir müssen ihm helfen. Wir müssen den Frauen helfen.«
Kern ließ das Fernglas sinken.
»Sie irren, Deckert. Wir müssen unseren Job erledigen. Wir beobachten, ob Jerkov hier aufkreuzt. Damit wir wissen, ob er von unserem Leck im Informationsnetz profitiert. Das ist ganz entscheidend für die weiteren Operationen. Wir können diesen bemitleidenswerten Frauen nicht helfen, weil wir keine Leute haben. Unsere Leute sind in diesem Augenblick dabei, das Haus des Pfarrers zu durchsuchen.«
Deckert wurde den Gedanken nicht los, dass es kein Zufall sein konnte, dass die SOK-Truppe ausgerechnet jetzt mit der Hausdurchsuchung beschäftigt war.
»Machen Sie, was Sie wollen. Ich gehe jedenfalls jetzt runter. Ich bin Polizeibeamter und kein Geheimagent.«
Lars Deckert entsicherte seine Waffe.
Kern blieb völlig ruhig. Er sah ihn nicht einmal an. Er starrte weiter durch sein Fernglas in den Hof.
»Deckert, wenn Sie nicht augenblicklich das Ding wegstecken, finden Sie sich morgen wieder in Wiesbaden ein und werden Ihre restlichen Dienstjahre bis zur Pensionierung in einem muffigen Büro mit dem Überprüfen der Spesenabrechnungen Ihrer Kollegen verbringen. Dafür werde ich sorgen.«
Lars Deckert dachte einen Moment über die Alternativen nach. Nicht lange. Ein paar Sekunden vielleicht. Dann sicherte er die Waffe und schob sie wieder in das Holster.
Sie verteilten Shampoo und Duschgel und wiesen die Frauen an, sich auszuziehen und ihre schmutzige Kleidung, die nach Schweiß und Urin und Kot stank, in Müllsäcke zu stopfen. Eines der Mädchen schluchzte ohne Unterlass. Andere bewegten sich so teilnahmslos wie Roboter. Selbst wenn sie auf ihrer langen Reise nichts Schlimmeres erlebt hatten, was unwahrscheinlich war, mussten allein schon die Tage und Nächte in dem engen Verschlag auf der Ladefläche des Lastwagens, ohne Toilette und ohne Waschgelegenheit, jegliche Form von Selbstachtung eliminiert haben. Die Männer schauten ihnen ungeniert beim Duschen zu und feixten. Und in David stieg die Wut hoch.
Er lag auf einem schmalen Gitterrost aus verzinktem Stahl, in mehr als zehn Metern Höhe, fast unter dem Dach. Der Duschraum genau unter ihm war ein etwa vier mal vier Meter großes Quadrat aus gefliesten Rigipswänden ohne Decke. Nebenan befand sich
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