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Bitter Lemon - Thriller

Titel: Bitter Lemon - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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so leicht zu verschieben, dank der Griffe, selbst für Thorben oder Leon oder Anna-Lisa oder Klara-Sophie. Aber hier unten rührte sich nichts. Erst als ihre Fingernägel abbrachen, gab sie auf. Was nun? Du musst in Bewegung bleiben, Maja. Immer in Bewegung bleiben. Sonst frisst dich der Frost. Das hatte ihre Großmutter in Vukovar gesagt, als sie an einem Silvestertag im tief verschneiten Wald Brennholz sammelten. Da war sie acht oder neun gewesen und hatte die Weihnachtsferien bei der Großmutter verbracht, in dieser fremden Welt, die angeblich ihre Heimat war.
    Sonst frisst dich der Frost .
    Minus 18 Grad.
    Der Mann öffnete die Abdeckung einen Spalt weit.
    »Wo ist dein Bruder?«
    »Fick dich.«
    Der Mann schloss den Deckel, griff neben sich und brachte eine Mineralwasserflasche zum Vorschein. Er schraubte die Flasche auf. Er trank einen Schluck. Er öffnete den Deckel erneut. Er goss den Inhalt der 1,5-Liter-Flasche über Majas Gesicht, über ihren Bauch, ihre Beine. Jemand schrie. Maja begriff, dass sie selbst es war, die schrie. Bis der Kälteschock ihr die Kehle zuschnürte. Der Mann schob den Deckel zu. Er beugte sich erneut vor und stützte die Unterarme auf dem durchsichtigen Kunststoff ab, als beabsichtigte er, ihr beim Sterben zuzuschauen.
    Da erschien plötzlich der Schlaks im Kittel neben ihm. Misstrauen, Verwirrung, Erstaunen und schließlich Zorn im Gesicht. Das blonde Ziegenbärtchen zitterte vor Aufregung. Er sprach den Mann mit der Sonnenbrille an, wütend, drohend, dann zerrte er an dessen Arm herum, mit aller Kraft. Der Mann mit der Sonnenbrille schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege. Doch der Junge im Kittel gab nicht auf. Da hämmerte ihm der Mann die schwere Faust mitten ins Gesicht, ohne auch nur ein einziges Mal den Blick von Maja abzuwenden.
    Ich will nicht sterben.
    Nicht hier.
    Nicht jetzt.
    Nicht so.
    Lieber Gott.
    Der Mann riss den Deckel beiseite.
    »Ich frage dich zum zweiten Mal … und zum endgültig letzten Mal: Wo ist dein Bruder?«
    Maja öffnete und schloss und öffnete und schloss den Mund, immer wieder, stumm wie ein Fisch. Der Mann beugte sich tiefer, um sie besser verstehen zu können. Da schnellte Majas Arm empor, ihre linke Hand griff nach der Sonnenbrille, riss sie dem Mann vom Gesicht und vergrub sie unter ihrem Körper. Der Mann rammte seine Faust gegen ihre Brust, richtete sich ruckartig auf, bedeckte die geröteten Augen mit seinen Händen und war Sekunden später aus ihrem Blickfeld verschwunden.
    Raus hier, raus hier, raus hier.
    Der Junge saß reglos auf dem Boden, die langen Beine gespreizt und von sich gestreckt. Der Rücken lehnte an einem Holzregal. Aus der obersten Reihe hatten sich einige Packungen Roggenbrot selbstständig gemacht. Das Kinn mit dem Ziegenbart ruhte auf der schmalen Brust, der Kittel war voller Blut. Maja kroch auf ihn zu und berührte seine Halsschlagader. Da öffnete der Junge die Augen. Aus der Nase quollen rosarote Luftbläschen.
    »Ganz ruhig. Sag jetzt nichts. Bewege dich bitte nicht. Du bist mein Held. Gleich kommt ein Arzt.«
    Mehr vermochte sie nicht zu sagen, weil sie so zitterte. Ihre Lippen, ihre Hände. Sie quälte sich auf die Beine und stöhnte auf. Die Brust schmerzte, und die Muskeln waren wie taub.
    Fast hätte sie den Korb vergessen, der noch immer zusammen mit ihrer Handtasche vor der Tiefkühltruhe stand.
    Die Kassiererin saß da wie angewurzelt hinter ihrem Laufband und starrte Maja an, die mit den Zähnen klapperte, während Wasser aus ihren Hosenbeinen tropfte.
    »Ist der Riese weg?«
    Die Kassiererin nickte.
    »Durch den Hauptausgang hinter der Kasse?«
    Die Kassiererin nickte erneut.
    »Ist er nach links oder nach rechts abgebogen?«
    »Nach rechts.«
    Der Anblick einer klatschnassen Kundin um Mitternacht hatte der Kassiererin zum Glück doch nicht die Sprache verschlagen. Was bei einer Rheinländerin auch nur schwer vorstellbar war.
    »Wo ist der Personalraum?«
    »Gleich hier vorne. Neben dem Obst.«
    »Bitte rufen Sie den Notarzt. Ihr Kollege ist schwer verletzt.«
    Die Kassiererin nickte erneut.
    »Nicht nicken! Anrufen! Jetzt, sofort.«
    Im Personalraum fand Maja neben der Papiertonne ein altes, schmutziges T-Shirt, das bereits als Wischlappen zweckentfremdet worden war, außerdem, an einem Nagel, der als Haken diente, eine orangefarbene Latzhose mit reflektierenden Streifen in Kniehöhe. Beides trocken. Nur das war jetzt wichtig. Trocken. Sie riss sich das nasse Zeug vom Leib, die Bluse, die Jeans, den

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