Bitter Lemon - Thriller
vermehrt der Theologie sowie diversen sozialen Projekten zu widmen.
Absolut nicht korrekt. Völlig falsch und verlogen. Cornelsen ging keineswegs freiwillig. Vielmehr setzte der WDR die Sendung Ende 1992 überraschend ab und kündigt seinem Moderator fristlos. Auch die als liberal geltende Evangelische Kirche im Rheinland sah ihr Ansehen geschädigt und wollte nichts mehr von Cornelsen wissen. Die nächsten Jahre blieben ein schwarzes Loch in der sonst lückenlosen Vita. Angeblich war Cornelsen in der Folgezeit für eine freikirchliche Organisation tätig und unterstützte deren Hilfsprojekte in diversen ehemaligen Teilrepubliken der zerfallenen Sowjetunion. Doch was genau diese Organisation dort getrieben und warum sie sich Jahre später aufgelöst hatte, war über das Internet nicht zu ermitteln.
September 1998: Im Nachmittagsprogramm des WDR geht ein neues Format an den Start: die »Carsten-Cornelsen-Show«. Der Moderator: Dr. Carsten F. Cornelsen. Ich bin zurückgekehrt, um nun Menschen in Deutschland zu helfen.
Korrekt. Die Show startete acht Monate nach der Party in der Villa im Bergischen Land. Acht Monate nach Irinas und Maries Tod und Zorans Verhaftung. Der Westdeutsche Rundfunk nahm den verlorenen Sohn wieder auf. Angeblich, so glaubten Insider zu wissen, auf Druck einiger Politiker im Verwaltungsrat. Cornelsen verzichtete nun auf die Rolle des christlich-fundamentalistischen Besserwissers, konzentrierte sich wie in seiner Hörfunk-Pionierzeit auf die Rolle des Gutmenschen – und aufs Geldverdienen. Denn produziert wurde die an jedem Werktag um 15 Uhr ausgestrahlte Problemshow von Cornelsens eigens gegründeter Firma »CC-TV«. Die Quoten kletterten von Woche zu Woche. Das hatte zweifellos mit dem besonderen Charisma des Moderators zu tun, das vor allem ältere Frauen ansprach, aber auch mit der neuen Formatidee, den Moderator bis kurz vor Sendebeginn der Live-Show darüber im Unklaren zu lassen, was ihn erwartete.
Das Publikum liebte inszenierte Spontaneität. Inszeniertes Risiko. Inszenierten Alltag. Alltägliche Tragödien. Ein TV-Stück wie aus dem Leben. Für Menschen, die ihr Leben zum großen Teil vor dem Fernseher verbrachten.
Cornelsen wurde inzwischen in einem Atemzug mit Jauch und Gottschalk genannt und überholte Kerner und Beckmann in der Publikumsgunst. Und das mit einer Nachmittagssendung im Dritten Programm. Mehr noch: 54 Prozent der Deutschen würden Dr. Carsten F. Cornelsen zum Bundeskanzler wählen, 34 Prozent der befragten deutschen Frauen zwischen 40 und 70 Jahren wünschten sich Cornelsen zum Ehemann, ergab eine bundesweite Umfrage des Instituts Allensbach. Der Moderator, der im Kölner Prominenten-Viertel Marienburg wohnte, war nach wie vor ledig. Und über sein Privatleben war so gut wie nichts bekannt.
Das sollte sich bald ändern.
Kristina Gleisberg klappte das Notebook zu, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Wenn alles so funktionierte, wie sie sich das vorstellten. Die Zündschnur war jedenfalls gelegt.
David erschien in der Küche. »Müde?«
Kristina nickte nur.
Aus der Werkstatt drangen Hammerschläge in die Küche.
»David?«
»Ja?«
»Mir geht dein Besuch im Savoy nicht aus dem Kopf.«
»Mir auch nicht.«
»Zoran ist das Bauernopfer.«
»Sieht ganz danach aus.«
»Sie benutzen Zorans Rachsucht, um an Milos Kecman ranzukommen. So viel war uns auch schon vorher klar. Aber seit heute, seit du erzählt hast, wie dieser Uwe Kern tickt, glaube ich, dass die gar nicht vorhaben, Kecman vor Gericht zu stellen. Weder für das Massaker in Vukovar noch für seine Geschäfte als Menschenhändler. Auch nicht für die Morde an …«
»… die er vermutlich nicht selbst begangen hat. Dafür haben Figuren wie Kecman ihre Leute. Man müsste ihm beweisen können, dass er der Auftraggeber der Morde war. Und für seine Beteiligung an dem Massaker in Vukovar ist Zoran der einzige nichtserbische Augenzeuge. Niemand würde Zoran jetzt noch glauben. Außerdem …«
»Außerdem?«
»… außerdem ist Kecmans Beteiligung am Sklavenhandel vielleicht sogar schon verjährt.«
»Verjährt? Wie bitte?«
»In Deutschland orientiert sich die Verjährungsfrist an der möglichen Höchststraße für eine Tat. Und unter Paragraf 233 kann man im Strafgesetzbuch nachlesen, dass die Haftstrafe für Menschenhandel bei sechs Monaten bis zehn Jahren liegt. Nur Mord verjährt nie.«
»Und die neuen Geschäfte? Die Geldwäsche?«
»Alles eine Frage des Beweises. Wir leben in einem
Weitere Kostenlose Bücher