Bitter Lemon - Thriller
konnte es Zoran Jerkov gut mit dem Wachpersonal. Sie haben ihm den Gefallen getan. Offenbar gehörte das zu seiner medienträchtigen Inszenierung …«
»Diese Kamera auf dem Gefängnisdach … Weshalb haben Sie ihn überhaupt überwachen lassen? Schließlich ist er nicht aus der Haft getürmt, sondern entlassen worden, ein freier Mann in einem freien Land … obwohl ich auch das noch nicht ganz begreife: Bei einer Verurteilung wegen Mordes wird doch erst nach fünfzehn Jahren erstmals geprüft, ob …«
»Herr Manthey, Sie stellen eine Menge Fragen …«
»Geben Sie mir Antworten, und sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen. Wer war die Frau?«
»Die Frau?«
»Die Frau an seiner Seite.«
»Eine Fernsehjournalistin.«
»Hat sie auch einen Namen?«
»Kristina Gleisberg.«
»Für wen arbeitet sie?«
»Für InfoEvent.«
»Was hat sie mit der Sache zu tun?«
»Sie hat Jerkovs Unschuld bewiesen.«
»Sie hat was?«
»Nicht für den Totschlag an dem Mithäftling. Sondern für den Mord an dieser Prostituierten. Ob er mit ihrem Tod tatsächlich nichts zu tun hatte, wissen wir allerdings immer noch nicht. Die Sache wurde nachträglich fallen gelassen, weil es diese Journalistin schaffte, die damalige Beweiskette zu kippen.«
»Er hat also zwölf Jahre unschuldig in der Zelle gesessen?«
»Vergessen Sie den Mithäftling nicht.«
»Sie wissen doch sicher, wie es im Knast zugeht. Außerdem: Wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, dann wäre es zu dem Totschlag erst gar nicht gekommen, wenn er nicht zuvor fälschlicherweise wegen Mordes verurteilt und inhaftiert worden wäre.«
»Hätte, könnte, wäre.«
Eine hilflose Retourkutsche. Das Alpha-Tier war offensichtlich aus dem Tritt geraten. Und der schweigsame Durchtrainierte starrte David Manthey wohl deshalb nun hasserfüllt an. Eine verführerische Gelegenheit, weiter Öl aufs Feuer zu gießen.
»Wer trägt die Schuld an der Verurteilung?«
»Niemand. Eine Verkettung unglücklicher Umstände«, sagte der Dicke mit der Fliege, als sei damit das endgültig letzte Wort in der Sache gesprochen. Jurist, kein Zweifel. Peinlich bemüht um die rasche Wiederherstellung staatlicher Unfehlbarkeit.
»Verstehe.«
»Nun, Herr Manthey, Sie fragen sich vermutlich …«
»Haben Sie vielleicht ein Bitter Lemon?«
»Bitte was?«
»Haben Sie vielleicht ein Bitter Lemon für mich?«
»Bedaure, aber wir haben hier nur …«
»In der Kantine gibt es das. Mit Eis. Wenn’s geht.«
Das Alpha-Tier drückte den linken Knopf der in die Tisch platte eingelassenen Sprechanlage. Ein kurzes, kaum wahr nehmbares Pfeifen. Deutliches Zeichen einer Rückkopplung. Sie zeichneten also auf, was an diesem Tisch gesprochen wurde.
»Könnten Sie uns vielleicht ein Bitter Lemon mit Eis bringen? Nein, sonst nichts. Danke.«
Das Alpha-Tier ließ den Knopf los. Der Dicke tupfte sich mit einem Taschentuch die Schweißperlen aus dem Haarkranz. Dabei verrutschten die blonden Strähnen, die entgegen der natürlichen Fallrichtung über den rosigen Schädel drapiert waren, um die Kahlköpfigkeit zu kaschieren. Der Durchtrainierte tat gar nichts. Als warte er in stiller Meditation auf seinen nächsten Einsatz.
»Können wir inzwischen weitermachen?«
»Natürlich, Herr Manthey. Wie gesagt: Wir benötigen Ihre Hilfe bei der Suche nach Zoran Jerkov.«
»Und warum wollen Sie ihn finden?«
»Um weitere Morde zu verhindern.«
»Morde an wem?«
»Er hat bei der improvisierten Pressekonferenz damit gedroht, all jene zu töten, die ihn hinter Gitter brachten.«
»Das hat er so gesagt?«
»Wenn Sie uns nicht glauben, zeigen wir Ihnen gern noch eine Videosequenz mit …«
»… mit Ton? Keine unscharfen, verwackelten Bilder, heimlich und illegal aufgenommen vom Gefängnisdach? Sondern ein Video von echten Fernsehprofis? Sie haben doch sicher den O-Ton protokolliert. Lesen Sie ihn mir einfach vor.«
Der Durchtrainierte starrte angestrengt in den Monitor seines Notebooks, während er vorlas:
»Wenn Sie jetzt keine Fragen mehr haben, meine Damen und Herren, hätte ich noch eine Kleinigkeit mitzuteilen. Hören Sie mir jetzt gut zu. Denn das könnte Ihre Zuschauer und Hörer und Leser vielleicht interessieren. Ich, Zoran Jerkov, werde jetzt für eine Weile abtauchen. Weil jene, die mir zwölf Jahre meines Lebens geraubt haben, nun ihres Lebens nicht mehr froh werden sollen. Das verspreche ich. Vielleicht komme ich tagsüber vorbei, vielleicht nachts. Vielleicht morgen, vielleicht übermorgen,
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