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Bitter Lemon - Thriller

Titel: Bitter Lemon - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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wunderbar sanftes Spiel, was Günther Oschatz heftig bestritten hätte, denn Chet Baker war stets sein großes Vorbild gewesen, im Gegensatz zu Miles Davis, dessen Spiel Günther Oschatz, wenn er sich in Rage redete, zwar nicht die meisterliche handwerkliche Perfektion, aber die Seele absprach.
    Zu gern wäre David Manthey augenblicklich losgerannt, so wie früher, die steile Treppe hinauf zur Wohnung, um den alten Günther Oschatz in die Arme zu nehmen. Doch ihm lief die Zeit davon. Maximal zwei Stunden Vorsprung hatte er sich durch das Versteckspiel am Flughafen verschafft. Diese zwei Stunden musste er nutzen. Denn anschließend würde er keinen Schritt mehr unbeobachtet unternehmen können.
    Zunächst musste er sein Gepäck loswerden. David betrat die verwaiste Halle, in der Onkel Felix früher die ihm anvertrauten Möbel zwischengelagert und seinen Lastwagen repariert hatte, und ließ die Reisetasche in einen Turm gestapelter, ausrangierter Lkw-Reifen gleiten. Dann kletterte er über die brusthohe Mauer, die den Hof der Spedition vom Fabrikgelände abgrenzte und die ihm in seiner Kindheit unendlich höher vorgekommen war. Er kämpfte sich durch das verdorrte Dickicht und erreichte schließlich das eiserne Tor. Ein kräftiger Ruck mit der Schulter, ein ohnmächtiges Ächzen der rostigen Angeln, und das Tor öffnete sich um einen Spalt. Der reichte, um hindurchschlüpfen zu können.
    Als sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, machte er sich auf den Weg hinauf zum Dach. Plötzlich schien ihm jeder Schritt vertraut, als habe er diesen Weg das letzte Mal nicht vor einem Vierteljahrhundert, sondern erst gestern eingeschlagen. Tauben flatterten erschreckt auf. Jeder Tritt auf den gusseisernen Treppen hallte durch den verwaisten Bau.
    Auch die Dachluke ließ sich überraschend problemlos öffnen. David stemmte sich hinaus ins Freie. Eine Weile war er ganz benommen. Von der Aussicht. Von der Erinnerung. Und von der Erkenntnis, wie winzig und überschaubar dieses Viertel in Wahrheit doch war, das sich ihm in seiner Kindheit so gigantisch groß und aufregend präsentiert hatte. Wie ein schmaler, vor imaginären Flutkatastrophen schützender Damm zog sich der Eigelstein, jene Straße, die dem Viertel den Namen schenkte, von der Rückseite des Hauptbahnhofs bis zur Torburg. Diesseits und jenseits der ehemaligen römischen Heerstraße stürzten sich ein halbes Dutzend schmaler Querstraßen wie Wasserfälle vom Damm in die Tiefe und verschwanden in den engen Häuserschluchten: Machabäerstraße, Eintrachtstraße, Unter Krahnenbäumen, Weidengasse, Im Stavenhof, Dagobertstraße, Gereonswall, jede einzelne Straße mit einer Flut von Erinnerungen verknüpft und für ewig ins Gedächtnis gebrannt.
    Aus dem Dach der Fabrik ragten die Stümpfe der ehemaligen Schornsteine empor. Dort hatten sie immer gesessen, nur sie beide, rücklings an die von der Sonne aufgeheizten Ziegelsteine gelehnt, um über die Welt zu reden. Das Leben. Die Zukunft.
    David Manthey ging in die Hocke, um besser lesen zu können. Die Schrift auf dem verwitterten Stein war frisch. Kein Zweifel. Eilig aufgetragen mit einem schwarzen Filzschreiber, einem dicken Edding, in Kniehöhe, drei Worte nur:
    MAGIC TITO. FINALE
    So kryptisch die drei Worte auf all jene wirken mussten, für die sie nicht gedacht waren – für David Manthey war die Botschaft unmissverständlich: Am kommenden Sonntag um 15 Uhr würde er Kontakt mit Zoran Jerkov aufnehmen können.
    Denn am kommenden Sonntag jährte sich zum 25. Mal Davids und Zorans großer gemeinsamer Triumph. Das legendäre Finale um die NRW-Jugendmeisterschaft. Davids erste Saison für den BC Eigelstein. In einer Schulturnhalle im westfälischen Paderborn waren um 15 Uhr die beiden besten U16-Jugendmannschaften Nordrhein-Westfalens gegeneinander angetreten: Coach Mantheys chaotische Hinterhof-Trümmertruppe gegen das hochgerüstete, hochgezüchtete Team von Bayer Leverkusen, gegen das sie in der Hauptsaison bereits zweimal verloren hatten.
    Auch in diesem Finalspiel hatten sie bereits zur Halbzeit haushoch zurückgelegen. Doch dann nutzte Felix Manthey die viertelstündige Pause in der Kabine, um den Glauben in ihren Köpfen zu verankern. Und so kehrte zum Anpfiff des dritten Viertels eine mental völlig veränderte Mannschaft zurück in die tobende Halle. Die Horde Halbwüchsiger trug zwar immer noch dieselben verwaschenen, altmodischen Restpostentrikots aus dem Türkenladen in der Weidengasse, die der Coach zu

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