Bitter Lemon - Thriller
aufgebaut, auf eigene Rechnung gearbeitet, wir haben uns die Kunden aussuchen können, wir …«
»Eliska und Marie, die unzertrennlichen Freundinnen. Der Unterschied ist nur: Marie ist tot. Und du lebst.«
»Zoran: Hätte ich nicht getan, was er von mir verlangte, dann wäre ich ebenfalls seit zwölf Jahren tot.«
»Du bist eine fantastische Schauspielerin, Eliska. Das ist sicher vorteilhaft in deinem Job. Nur die Opferrolle nehme ich dir nicht ab. In der Rolle bist du nicht überzeugend.«
»Nein?« Sie sprang auf. Ihre Lippen zitterten. Sie war wütend, und die Wut war nicht gespielt.
»Hast du dir diese Selbstgefälligkeit im Gefängnis zugelegt? Sie steht dir nicht, Zoran. Sie macht dich alt und hässlich. Willst du wissen, was sie mit mir gemacht haben?«
»Nein!«
»Sie haben …«
»Setz dich wieder hin!«
Er sah nicht zu ihr auf. Er starrte an ihren schönen Beinen vorbei ins Leere. In die Vergangenheit, die niemals verblassen würde, nicht, solange er lebte, und in die Zukunft, die unweigerlich in eine Katastrophe münden musste, solange Zoran Jerkov in der Vergangenheit verharrte. Davon war sie überzeugt. Sie wusste nicht, vor wem sie in diesem Augenblick mehr Angst hatte: vor Zoran Jerkov oder vor Milos Kecman. Zwölf Jahre lang hatte sie sich vor diesem Moment gefürchtet, nachts davon geträumt. Sie war schweißgebadet aus dem Schlaf geschreckt und hatte sich eingeredet, dass er niemals Realität werde würde. Nicht, solange Zoran Jerkov wegen Mordes in einer Gefängniszelle saß.
Er würde nicht gehen ohne eine Antwort.
Also setzte sie sich.
»Die Polizei sucht dich. Ich hab’s im Radio gehört.«
Jerkov nickte.
»Willst du bleiben? Du kannst hier schlafen.«
Jerkov schüttelte den Kopf.
»Du warst lange eingesperrt, Zoran. Einsam. Ohne Frau, so lange Zeit. Das ist nicht gut für Männer. Wenn du magst, dann können wir auch was anderes …«
Sie beugte sich vor und berührte seinen Unterarm. Jerkov schloss die Augen. Eliska konnte den Schmerz spüren, der mit Macht aus jeder Pore seines Körpers drang, genährt aus der Trauer, die er zwölf Jahre konserviert hatte, damit sie nun zur Verfügung stand, als Treibstoff, hochexplosiv.
Irgendwo im Vorderhaus legte ein Radio los.
Gute-Laune-Musik. Gute-Laune-Geplauder.
»Kecman ist nicht mehr im Geschäft, Zoran.«
Jerkov öffnete die Augen.
»Ich meine, er macht jetzt was anderes. Computer, Internet, ich habe keine Ahnung davon. Eine große Firma in Sankt Petersburg, heißt es. Er hat sich da eingekauft, ist schon eine Weile her. Die schmutzigen Geschäfte überlässt er inzwischen anderen. Geld wie Heu hat er jedenfalls, so viel steht fest.«
»Das heißt: Er ist nicht mehr in Köln?«
»Ja und nein. Er ist viel unterwegs, überall in der Welt, er ist natürlich auch oft in Sankt Petersburg, aber weil er für die Investition der Gewinne in Westeuropa zuständig ist, hat er wieder einen Wohnsitz in Köln. Er mag keine Hotels. Aber er braucht einen Rahmen, um potenzielle Geschäftspartner aus dem Westen zu Besprechungen einzuladen. Der Rahmen hat so um die 300 Quadratmeter. Freier Blick über den Rhein bis zum Dom. Die Wohnung gehört offiziell Heinz Waldorf. Beziehungsweise, jetzt, wo Heinz tot ist, weiß ich gar nicht, wer …«
»Eine Matrjoschka-Firma.«
»Eine was?«
»So was braucht man zur Geldwäsche. Man konstruiert Firmen wie die berühmten russischen Holzpüppchen, die man immer wieder ineinanderschachtelt, um den Kern zu verschleiern.«
Sie nickte bestätigend.
»Milos Kecman wäscht also das Geld dieser russischen Firma, indem er es in westeuropäische Projekte steckt. Das ist also sein neuer Job.«
Sie nickte erneut.
»Die Adresse.«
Sie schluckte. Ihr Hals war ganz trocken. Sie zündete sich eine Zigarette an. Sie rauchte zu viel. Sie trank zu wenig.
»Die Adresse, Eliska.«
»Du kennst den ehemaligen Zollhafen?«
»Du meinst die alten Lagerhäuser zwischen Südbrücke und Severinsbrücke? Nicht gerade die beste Adresse.«
»Zoran, man merkt, dass du lange von der Straße weg warst. Der alte Zollhafen ist inzwischen die beste und teuerste Lage Kölns. Die haben die verfallenen Lagerhäuser luxussaniert, und in den Lücken dazwischen haben sich die Toparchitekten Europas ein paar hypermoderne Denkmäler gesetzt. Und in einem dieser gläsernen Tempel am Rheinufer, in der obersten Etage …«
»Eliska. Die Adresse.«
Sie stand auf, ging zu dem winzigen Schreibtisch, kramte in der obersten Schublade, bis sie
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