Bitter Lemon - Thriller
Haus. Anschließend können wir reden … müssen wir reden. Okay?«
»Andere Welt? Was ist denn die andere Welt? Ist das die böse, böse Welt? Wo liegt denn diese andere Welt?«
»Überall.«
Sie schwieg, sah aus dem Seitenfenster und beobachtete, wie die grauen Mietshäuser nicht minder tristen Industriebrachen Platz machten. Ein Schild wies den Weg zum Niehler Hafen. Sie war noch nie in Köln-Niehl gewesen.
»Woher hattest du eigentlich Günthers Adresse?«
»Von Maja. Zorans Schwester. Sie ist …«
»Ich weiß, wer Maja ist.«
Kristina studierte erneut sein Gesicht. Weshalb diese plötzliche Schroffheit? Aber David Manthey verzog keine Miene. Und es war zu dunkel, um gründlich in seinen Augen lesen zu können.
Zehn Minuten später waren sie am Ziel.
Ein Schrottplatz.
Kein Firmenschild, keine Reklametafel. Die beiden Torflügel aus Wellblech standen weit offen. Der R4 passierte die Durchfahrt und rollte auf den Hof. Links und rechts stapelten sich Autos zu Mauern. Manthey steuerte durch die Gasse auf das zweistöckige Gebäude am Kopfende zu, stoppte etwa zwanzig Meter vor einem Rolltor, schaltete den Motor ab und starrte durch die Windschutzscheibe in die Dunkelheit.
»Sehr hübsch. Ich habe nur etwas die Orientierung verloren: In welcher Gegend Kölns liegt dieser sichere Ort?«
»Worringen. An der Stadtgrenze zu Dormagen.«
»Und wer wohnt hier?«
»Artur.«
»Aha. Artur. Also los. Oder worauf warten wir noch?«
»Ich muss erst nachsehen, ob wir willkommen sind. Bitte bleib noch einen Moment im Wagen sitzen.«
David Manthey stieg aus und schloss die Fahrertür. Er hatte sich erst wenige Schritte dem Rolltor genähert, als ein am Dachfirst des Gebäudes angebrachter Suchscheinwerfer aufflammte und den Platz in ein grelles, unwirkliches Licht tauchte.
Manthey blieb augenblicklich stehen, spreizte die Arme und öffnete die Hände. Zwei Minuten lang geschah gar nichts, dann hob sich das Rolltor, und ein Riese trat auf den Platz. So groß und so breit wie der Albino, nur dass die Haare auf seinem gewaltigen Schädel feuerrot waren. Der Rothaarige näherte sich dem R4, gemächlichen Schrittes, und auch Manthey setzte sich wieder in Bewegung. Wie im Western, dachte Kristina. Nur dass sie nicht auf halber Strecke stehen blieben und ihre Revolver zück ten, sondern weitergingen und sich am Ende in die Arme fie len.
Für einen endlosen Augenblick verharrten sie stumm und reglos in dieser innigen Umarmung. Wie zwei Schiffbrüchige, die sich gegenseitige Rettung erhofften. Schließlich lösten sie sich voneinander. Sie redeten, leise, fast flüsternd, so dass Kristina kein Wort verstand, obwohl sie das Seitenfenster geöffnet hatte. Nach einer Weile nickte der Rothaarige. Manthey winkte ihr zu. Der Riese ging ihr entgegen. Manthey folgte ihm.
»Guten Abend. Ich bin Kristina Gleisberg.«
»Artur«, sagte Artur, ignorierte ihre ausgestreckte Hand und ließ sie stehen. Er überquerte den Hof, schloss die beiden Torflügel und schob eine dicke Eisenstange durch zwei geschmiedete Ösen, so dass sich das Tor von der Straßenseite aus nicht mehr öffnen ließ. Manthey hatte inzwischen das Gepäck aus dem Wagen geholt. Artur stieg in den R4, startete den Motor und rangierte den Wagen durch das geöffnete Rolltor in die Werkstatt.
»Dein Freund?«
»Ist lange her. Zoran und Artur und ich …«
»Ja?«
»Wir haben eine gemeinsame Geschichte.«
»Seltsam. Zoran hat mir so viel über sich erzählt. Aber er hat weder dich noch diesen Artur je erwähnt.«
»Das überrascht mich nicht«, sagte Manthey und schulterte das Gepäck. »Komm jetzt. Bist du nicht müde? Du hast doch sicher Hunger. Übrigens: Wenn Artur nicht viel spricht, liegt das daran, dass er etwas schüchtern ist. Gegenüber Frauen.«
Die Frau, die ihr Lächeln mal verschenkte und mal verkaufte, verließ Uwe Kern gegen fünf Uhr morgens. Am Ebertplatz erwischte sie ein Taxi, das durch die menschenleeren Straßen nur knapp zwanzig Minuten bis zu ihrer Wohnung im Stadtteil Bayenthal im Süden Kölns benötigte. Der Fahrer war ein irakischer Kurde. Seine wortkarge Antwort auf ihre Frage, woher er stamme, wurde im Rückspiegel mit einem Lächeln belohnt. Sie gab ihm ein ordentliches Trinkgeld, zum einen, weil sie stets ordentliche Trinkgelder gab, Kellnern, Klofrauen, Pizza-Boten, zum anderen aus Dankbarkeit, weil der Kurde sie während der Fahrt nicht zugetextet hatte, wozu die einheimischen Kölner Taxifahrer gewöhnlich neigten. Um fünf Uhr
Weitere Kostenlose Bücher