Bitter Lemon - Thriller
Und weil David glaubt, man kann dir vertrauen. Aber ich sag’s nur einmal: kein Handy, keine E-Mails, kein Internet. Lass das Handy ausgeschaltet und stell das Notebook auf Offline.«
»Warum denn das?«
»Weil die halbe Welt hinter euch her ist. Die Polizei, die Medien, außerdem noch die richtig Bösen. Und weil ich keine Lust habe, dass irgendwer mein Paradies kaputt trampelt. Klar?«
»Klar.«
»Schön. Bis dann.«
Arturs mürrischer Gesichtsausdruck wich zum ersten Mal, seit Kristina Gleisberg ihm begegnet war, einem breiten Grinsen; eine neue Erfahrung für sie, die allerdings nur knapp zwei Sekunden währte, weil Artur das Grinsen mit nach draußen nahm. Sie sah eine Weile aus dem Fenster und beobachtete die verliebten Papageien. Sie brauchte eine Weile, um sich zu sammeln. Dann nahm sie sich wieder den Aktenordner vor.
Das Motiv, das Mittel und die Gelegenheit: der dreibeinige Schemel eines jeden Schwurgerichtsprozesses. Ein Motiv für die Tat, die Mittel, um die Tat auszuführen, und die passende Gelegenheit dazu. Wenn die Ermittler zudem noch zum Täter passende Spuren am Tatort fanden, war die Anklage der Staatsanwaltschaft schon so gut wie fertig.
Motiv, Mittel, Gelegenheit: Schaffte es der Verteidiger, auch nur ein einziges Bein anzusägen, kippte unter Umständen der ganze Schemel. Denn die Beweispflicht lag nicht beim Angeklagten, sondern bei der Staatsanwaltschaft. In dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, so verlangte es das abendländische Rechtsverständnis seit der Antike. Aber Zoran Jerkovs Verteidiger Heinz Waldorf hatte die Säge während des gesamten Prozesses nicht ein einziges Mal angesetzt.
Auch der Angeklagte trug seit seiner Festnahme nicht zur Wahrheitsfindung bei. In der ersten Vernehmung der Polizei beteuerte er vehement seine Unschuld, ohne aber auch nur einen einzigen Beleg für seine Unschuld zu nennen, etwa ein Alibi. Am nächsten Tag erhielt Zoran in der U-Haft Besuch von seiner Schwägerin Alenka Jerkov, die einen völlig verstörten Eindruck auf die Justizvollzugsbeamten machte. Verheulte Augen, wirres Haar, blass um die Nase, als stimmte etwas mit ihrem Kreislauf nicht. Sie habe gar nicht viel gesagt, erinnerte sich der im Besuchszimmer anwesende Beamte. Nur ein paar Sätze, wie es der Familie gehe, nichts von Belang. Seit diesem Besuch sagte Zoran Jerkov kein einziges Wort mehr. Er schwieg während der gesamten Verhandlung, er schwieg auch am Tag der Urteilsverkündung, er schwieg zwölf Jahre lang. Bis er im Knast der TV-Journalistin Kristina Gleisberg begegnete.
Motiv, Mittel, Gelegenheit. Für das Motiv sorgte Eliska, nach eigener Aussage Maries beste Freundin: rasende Eifersucht. Ein starkes, weil häufiges Motiv.
Das Mittel stand erst gar nicht zur Diskussion, auch wenn die Tatwaffe, die Drahtschlinge, nie gefunden wurde: Schließlich war das Mordopfer eine junge, zierliche Frau, und Zoran Jerkov war ein außerordentlich kräftiger Mann und zudem seit frühester Jugend ein als gewalttätig bekannter Krimineller, auch wenn es bislang nie zu einer Verurteilung gereicht hatte.
Die Gelegenheit: Zoran besaß einen Schlüssel zur Wohnung und kein Alibi für die Tatzeit. Dass er noch einmal am Tatort aufgetaucht und dort der Polizei in die Arme gelaufen war, wurde nicht zu seinen Gunsten als Hinweis auf seine Unschuld ausgelegt, sondern als missglückter Versuch, seine Täterschaft nachträglich zu vertuschen, indem er sein bei der Tat in der Wohnung vergessenes Handy verschwinden lassen wollte.
Er und Marie waren ein Liebespaar gewesen, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass sich überall in Maries Wohnung Spuren von Zoran fanden. Fingerabdrücke und Haare im Zimmer und im Bad, Spermarückstände in der Vagina des Opfers – auch wenn es der medizinische Gutachter ablehnte, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Zoran Jerkovs Sperma und der Vergewaltigung herzustellen.
Das Urteil: Lebenslange Haft wegen Mordes sowie Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
Sind Sie Journalistin?
Mein Name ist Zoran Jerkov.
Wollen Sie meine Geschichte hören?
Der Kölner Prostituiertenmörder. 1998. Glauben Sie mir: Was ich Ihnen zu erzählen habe, wird Ihr Leben verändern.
In der Tat: Die zufällige Begegnung mit Zoran Jerkov in der Tischlerwerkstatt der Justizvollzugsanstalt Rheinbach zwölf Jahre nach dem Urteil hatte ihr Leben völlig verändert.
Zufall.
Gibt es solche Zufälle?
Kristina Gleisberg sah aus dem Fenster.
Die Papageien waren
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