Bitter Lemon - Thriller
Generalabrechnung verschlungen. Respekt. Immer wenn ich dein Foto in dem Buch sah, musste ich an die alten Zeiten denken. Ich bin richtig stolz auf dich. Allerdings hätte ich dir noch ein paar Tipps zur Recherche geben können. Dinge, von denen du noch nicht einmal träumst. Zum Beispiel …«
David gab ihm ein Zeichen. Zoran schwieg.
Der Marokkaner vertrieb sich die Zeit, indem er die verwaisten Bildschirme putzte. David wartete, bis der Mann fertig war, den Lappen und die Sprühflasche hinter der Theke verstaute, das Radio einschaltete und sich wieder seiner Autozeitschrift widmete. Zum Glück waren die Tastaturen wohl ein anderes Mal an der Reihe. Die Luft roch nun penetrant nach medizinischem Alkohol.
»Zoran, woher hast du gewusst, dass ich deine Nachricht auf dem Dach der Fabrik finden würde?«
»Ich hab’s nicht gewusst. Ehrlich. War nur so ein Versuch. Ein Strohhalm, wenn du so willst. Hatte ich also richtig gelegen, dass sie dich auftreiben und nach Köln locken würden. Ich habe die Botschaft noch an vier anderen geschichtsträchtigen Orten unserer Kindheit im Viertel hinterlassen. In der Hoffnung, du würdest aus reiner Gefühlsduselei oder so wenigstens einen dieser Orte aufsuchen. Hat dann ja auch funktioniert. Das Dach der alten Fabrik im Stavenhof also. Interessant. Was würde wohl ein Psychologe daraus lesen können?«
»Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. So ein Quatsch, David. Glaubst du etwa, das serviert dir jemand auf dem Silbertablett? Hier, bitte schön, Glück für alle, frei Haus geliefert von Luigis Pizza-Dienst. So ein Blödsinn! Freiheit muss man sich nehmen, David. Einfach nehmen, verstehst du? Niemand schenkt sie dir. Und Gleichheit? Gleichheit gibt es nicht. Nicht in diesem Leben, David. Entweder du bist unten, so wie mein Alter zum Beispiel. Oder du bist oben. Du musst kämpfen, um nach oben zu kommen, und man muss kämpfen, damit man oben bleibt. Jeden Tag aufs Neue. Nur wenn du oben bist, dann bist du auch frei.«
»Und Brüderlichkeit, Zoran? Gibt es Brüderlichkeit auf der Welt? Wir beide, wir sind doch wie Brüder, oder?«
»Ich wusste nur, dass du die Botschaft sofort verstehen würdest. Das große Finale. Dein genialer Pass übers halbe Feld. Und ich hatte gehofft und dafür gebetet, dass sie dich auftreiben, egal, wo du gerade steckst auf diesem Erdball. Und sich Mühe geben, dich zu überreden, mich zu finden. Und ich hatte natürlich gehofft, dass du tatsächlich zurück nach Köln kommst, aber ihr Scheißspiel nicht mitspielst. Aus alter Freundschaft, verstehst du?«
Aus alter Freundschaft.
Zoran grinste. Das Grinsen ließ David für einen Augenblick vergessen, dass seit dem Ende ihrer Freundschaft fast ein Vierteljahrhundert vergangen war. Dieses breite Grinsen hatte David immer so gemocht an ihm. Damals verhieß dieses Grinsen grenzenlose Zuversicht in die eigene Kraft, alle Probleme dieser Welt im Handumdrehen lösen zu können.
»Warum brauchst du ausgerechnet mich, Zoran? Wo sind denn all deine Freunde geblieben?«
Das Grinsen verschwand.
»Ich habe keine Freunde mehr, David. Vier Jahre Krieg, zwölf Jahre Knast … ich habe in dieser Zeit viel gelernt, David. Über die Menschen. Und über mich selbst. Vielleicht hatte ich noch nie richtige Freunde … außer dir … und Artur. Ich war sehr ungerecht. Es hat zwar lange gedauert, aber inzwischen habe ich begriffen, um was es geht im Leben.«
»Um was geht es denn im Leben, Zoran?«
»Um Liebe und um Gerechtigkeit.«
»Starke Worte.«
»Worte sind Schall und Rauch. Es geht um Taten. Man muss handeln, um Gerechtigkeit zu schaffen.«
»Frag mal Kristina Gleisberg, was sie von deinen grandiosen Taten im Dienste der Gerechtigkeit hält.«
»Wieso? Was ist mit Kristina?«
»Sie hat ihren Job verloren.«
»Das tut mir leid.«
»Das wird sie zweifellos trösten.«
»David, dein Sarkasmus hilft uns jetzt nicht weiter. Mir läuft die Zeit davon. Ich brauche euch.«
»Wen?«
»Dich. Und Kristina. Sie ist eine bemerkenswert kluge und starke Frau. Habt ihr das Dossier gelesen?«
»Was für ein Dossier?«
Zoran blickte sich nervös um, als habe ihn ein Geräusch irritiert. David konnte auf dem Monitor nichts hören und nichts sehen. Außer Zorans Kopf, nur notdürftig beleuchtet vom schwachen Lichtkegel einer altmodischen Schreibtischlampe. Der Hintergrund lag völlig im Dunkeln. Schließlich schien sich Zoran zu beruhigen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder David zu.
»Wo ist mein Seesack?«
»Den
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