Bitter Lemon - Thriller
kommen die Ihnen mit juristischen Spitzfindigkeiten. Die nennen das nämlich Strafvereitelung. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Ich war an meine Schweigepflicht als Beichtvater gebunden. Das hat sogar der Staatsanwalt begriffen …«
»Ich meine nicht Ihr Schweigen damals nach dem Mord. Sondern Ihre Zeugenaussage zwölf Jahre später, nachdem Zoran Sie von Ihrer Schweigepflicht entbunden hatte. Da haben Sie mir und anschließend dem Staatsanwalt nur die halbe Wahrheit erzählt. Also frage ich Sie nun: Was war in jener Nacht das Thema des Gesprächs?«
»Ich habe alles erzählt, was …«
»… was Zoran Ihnen aufgetragen hat, zu erzählen. Als er Sie in der Mordnacht besuchte: Sie haben doch nicht geschlagene drei Stunden nur über Basketball und Zorans kroatischen Nachwuchsstar für Bayer Leverkusen geredet.«
Bralic schwieg. Mit zitternden Händen strich er das frisch gebügelte und gestärkte Schultertuch auf dem Ankleidetisch glatt, um Kristina Gleisberg nicht in die Augen schauen zu müssen.
»Herr Bralic? Hören Sie mir noch zu? Zoran kreuzte also mitten in einer bitterkalten Januarnacht unangemeldet bei Ihnen auf, um mit Ihnen ein wenig über Sport zu plaudern?«
Bralic zupfte eine Fluse von der Stola.
»Er lässt seine geliebte Marie mitten in der Nacht allein, statt mit ihr gemeinsam in Maries Geburtstag hineinzufeiern?«
»Wir haben nicht einfach nur so über Sport geplaudert. Zoran war doch Agent. Er bat mich, diesen jungen Spieler aus Split für zwei Nächte bei mir zu beherbergen.«
»Interessant: ein Spieleragent, der nicht einmal das Geld für ein Hotelzimmer aufbringen kann.«
»Da ging es nicht darum, die Kosten für zwei Übernachtungen zu sparen. Sie verstehen offenbar nichts von dieser Branche. Der Bursche war ein Rohdiamant. Aber er war erst 19 Jahre alt, sprach kein einziges Wort Deutsch, hatte niemals woanders als bei seinem Verein in Split gespielt und Kroatien noch nie verlassen. Zoran wollte vermeiden, dass er so kurz vor der Vertragsunterzeichnung Heimweh und kalte Füße kriegt und im letzten Moment noch alles vermasselt. Deshalb wollte Zoran, dass er bei mir statt im Hyatt wohnt. Ich hätte Kroatisch mit ihm gesprochen, ihm sein Lieblingsgericht gekocht, damit sich der Junge ganz wie zu Hause fühlt. Verstehen Sie jetzt?«
»Ich verstehe nur nicht, warum dieses Gespräch nicht Zeit bis zum nächsten Morgen hatte.«
Bralic schwieg. Er wusste, dass diese Frau nun nicht mehr lockerlassen würde. Er hatte ihre journalistische Beharrlichkeit zur Genüge kennengelernt. Nur diente ihre Hartnäckigkeit bisher ausschließlich dem Zweck, Zoran Jerkovs Unschuld zu beweisen und ihn aus dem Knast zu holen.
»Welch eine bittere Ironie des Schicksals, Frau Gleisberg: Als der Junge in Kroatien von Zorans Verhaftung in Köln hörte, verzichtete er auf das Leverkusener Angebot und die Reise nach Deutschland. Sechs Monate später trat er im Vorbereitungscamp seines neuen Vereins KK Zadar beim Joggen auf eine vergessene Landmine. Er war sofort tot. Er würde noch leben, hätte er sein geliebtes Kroatien verlassen. Ein spätes Opfer des Krieges, und ein weiteres Opfer des Komplotts gegen Zoran Jerkov.«
»In den Vernehmungsakten ist protokolliert, dass Sie und Zoran in der Mordnacht auch über den Krieg sprachen.«
»Ja. Wir Kroaten sprechen oft über den Krieg. So wie das auch die Bosnier tun, die Makedonier, die Montenegriner, die Albaner. Sogar die Serben. Der Krieg hat tiefe Wunden in unseren Seelen hinterlassen. Das Reden hilft bei der Heilung. Sie müssen wissen, das war kein Krieg zwischen fremden Staaten, zwischen fremden Menschen, zwischen Gut und Böse. Das war ein Krieg zwischen Dorfnachbarn, Arbeitskollegen, Vereinskameraden. Der Hass hat unser Land verbrannt. Ein kollektives Trauma. Viele waren Täter und Opfer zugleich, brachten Leid und erlitten Leid. Wir alle haben unsere Unschuld verloren. In Slowenien, wo alles begann, dauerte der Krieg glücklicherweise nur zehn Tage, in Kroatien vier Jahre, noch länger als im geschundenen Bosnien. Und im Kosovo herrscht immer noch kein Friede …«
»Herr Bralic, was war am Abend des 16. Januar 1998 passiert, dass Zoran Jerkov sich veranlasst sah, Sie aufzusuchen und mitten in der Nacht über den Krieg zu reden?«
Tomislav Bralic stützte seine kräftigen Arbeiterhände auf die Kante des Ankleidetisches und atmete schwer.
»Herr Bralic, wer ist Irina?«
Die Glocke begann zu läuten.
»Herr Bralic, wer war die Frau namens
Weitere Kostenlose Bücher