Bitter Lemon - Thriller
die Macht, all das steigt den meisten erfolgreichen Männern eines Tages so zu Kopf, dass am Ende die Eitelkeit über die Intelligenz siegt. Das gilt für Industrielle ebenso wie für Politiker oder Militärs oder Gangster. Das scheint ein Naturgesetz zu sein. Und gilt auch für unseren Mann: Sein halbes Leben hat Uwe Kern mit einem Dutzend falscher Namen und erfundener Identitäten gelebt. Er war nämlich mal eine ziemliche Nummer beim BND. Ein Topagent, würden eure Medien hierzulande schreiben, wenn sie nur einen blassen Schimmer hätten. Kern operierte vorrangig in Osteuropa, in der Zeit vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. Spricht sieben Sprachen fließend. Offiziell ist er in Rente. Die dürfen beim BND ziemlich früh in den Ruhestand, weil die meisten irgendwann ohnehin verbrannt sind. Und jetzt läuft dieser Gockel doch tatsächlich mit seinem Echtnamen durch die Gegend. Benutzt sogar seinen alten BND-Dienstausweis, Operative Abteilung 5, Berlin-Lichterfelde …«
»… und macht inzwischen genau was?«
»Jetzt wird’s erst richtig spannend. Die deutschen Geheimdienste unterstehen unmittelbar der Bundesregierung, wohingegen das Polizeiwesen bekanntlich eine hoheitliche Aufgabe der Bundesländer ist. So wie das Schulwesen oder so …«
»Echt spannend, Ingvar …«
»Nicht so ungeduldig, Manthey. Polizei ist also Ländersache, mal abgesehen vom Bundeskriminalamt und mal abgesehen vom ehemaligen Bundesgrenzschutz, der ja inzwischen Bundespolizei heißt, weil die Politiker der irrigen Meinung sind, es gäbe keine Grenzen mehr zu schützen, weil unsere EU doch so schön groß ist, dass sie weit, weit weg von Berlin erst an der Grenze zu Moldawien endet …«
»Komm endlich zum Punkt, Ingvar.«
»Unterbrich mich nicht dauernd. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und vor allem seit dem 11. September 2001 kümmern sich die Geheimdienste vornehmlich um islamistisch motivierten Terrorismus und haben damit alle Hände voll zu tun, während im unermüdlichen, heldenhaften Kampf gegen das organisierte Verbrechen Experten wie beispielsweise die Innenminister von Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz in vorderster Front stehen. Eine bizarre Vorstellung. Aber wem erzähle ich das. Es gilt die altbewährte Politikerweisheit: Wenn man zu blöd ist oder aber keine Lust hat, ein Problem zu lösen, dann ignoriert man das Problem einfach gegenüber der Öffentlichkeit …«
»Aber inzwischen, im Zeitalter der Globalisierung, lässt sich das Problem nicht mehr so einfach ignorieren.«
»Exakt, Manthey. Weil das organisierte Verbrechen sich nämlich anschickt, nationale Volkswirtschaften reihenweise aufzukaufen. Feindliche Übernahmen. Das viele, illegal erworbene Geld muss schließlich gewaschen werden. Geldwäscher ist übrigens der Beruf der Zukunft, Manthey. Noch sind es vornehmlich Aktienpakete, stille Einlagen in Kommanditgesellschaften, Investments auf dem Immobiliensektor. Aber bald wird es um mehr gehen. Um viel mehr. Um Kontrolle. Um Macht. Um Geschäftsführerposten, um Sitze im Vorstand und um Aufsichtsratsmandate. Denn wer die ökonomische Macht im Land besitzt, der besitzt zwangsläufig eines Tages auch die politische Macht. Klar so weit?«
»Uwe Kern …«
»Ich will nur, dass du die Zusammenhänge verstehst. Damit du nicht sagen kannst, ich hätte meine Schulden nicht ordentlich beglichen. Okay, machen wir weiter. Uwe Kern. Der wurde vor drei Monaten von der Bundesregierung damit beauftragt, eine Truppe aufzubauen, die einerseits Geheimdienststatus besitzt, damit sich die Länder nicht querstellen können, zugleich aber mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet ist. Streng geheim natürlich … und staatsrechtlich äußerst heikel, wie du dir denken kannst. Sonderkommando Organisierte Kriminalität, kurz SOK genannt. Kern fungiert als Projektleiter. Eine hübsche und zugleich lukrative Beschäftigung für einen Rentner. Zwanzigtausend Euro überweisen sie ihm monatlich auf sein Privatkonto, Spesen gehen natürlich extra. Ein Vielfaches dessen, was er in seiner aktiven Zeit beim BND verdient hat. Nun zu den anderen Namen …«
»Dr. Karl-Günther Beauvais …«
Ingvar tätschelte erneut Davids Wange.
»Bin ich nicht großzügig, Manthey? Ein einziger Name war ausgemacht, damit sind meine Schulden bei dir eigentlich schon beglichen. Und was mache ich? Wie im Märchen spiele ich die gute Fee, und du hast drei Wünsche frei … diesen Beauvais kannst du vergessen. Promovierter Verwaltungsjurist,
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