Bitter Lemon - Thriller
war kurz und unmissverständlich: Er geht . Sie klappte das Buch zu, zahlte den Espresso, verließ das Café und nahm den Weg über die Hinterhöfe. Den Weg, den David Manthey ihr aufgemalt hatte. Vorbei an den verlassenen Treibhäusern der ehemaligen Gärtnerei. Die Glassplitter der zertrümmerten Scheiben spiegelten die Sonne des frühen Nachmittags, als seien sie kostbare Edelsteine.
Alenka saß in der Küche und schnitt Paprika in schmale Streifen. Sie hatte die langen, grauen Haare hochgesteckt und trug eine ärmellose Kittelschürze. Der dünne, geblümte Stoff war vom vielen Tragen und Waschen ausgebleicht. Kristina betrachtete die schmalen, knochigen Schultern, die mageren Arme, die eingefallenen Wangen, die stumpfen Augen, die vom vielen Arbeiten in kaltem Wasser aufgedunsenen Hände. Eine alte Frau von erst 36 Jahren. Nur der Mund verriet noch, dass Alenka Jerkov eine schöne Frau gewesen sein musste. Vor langer Zeit.
»Kristina!«
Sie schien sich zu freuen.
»Hallo, Alenka. Wie geht’s dir?«
»Du warst aber schon lange nicht mehr hier.«
»Stimmt, Alenka. Als Zoran noch im Gefängnis saß, als es darum ging, Beweise zu sammeln, um ihn frei zu bekommen, da war ich ja fast schon Stammgast bei euch gewesen.«
»Branko ist nicht da!«
»Macht doch nichts. Ich wollte sowieso nicht deinen Mann, sondern dich besuchen. Schauen, wie’s dir so geht.«
»Branko ist eben erst weg. Vor zehn Minuten. Zur Sparkasse. Er hat einen Termin. Wegen des Kredits.«
»Probleme?«
Alenka zuckte hilflos mit den Schultern, hob den Kopf und starrte zur von verbranntem Bratfett braun gefärbten Decke.
»Er redet nicht mit mir über … so was.«
»Über Geld …«
»Über Geld nicht und über alles andere auch nicht. Er redet fast gar nicht mehr. Mit niemandem. Seit … seit Dalia …«
»Verstehe.«
»Nein, du verstehst nichts, Kristina. Das kannst du nämlich nicht verstehen, das kann niemand verstehen!«
Tränen kullerten aus ihren Augen. Tränen so dick wie Regentropfen. Nur ihre Augen weinten. Das Gesicht blieb starr wie eine Maske. Das Gesicht einer Frau, die früh lernen musste, ihre Seele unter Verschluss zu halten. Kristina setzte sich, schob das Sieb, das Messer und das Holzbrett beiseite und legte ihre Hände auf Alenkas Hände. Alenka blickte erstaunt auf. Nicht erschrocken, nur erstaunt.
»Weshalb bist du gekommen, Kristina?«
»Ich wollte …«
»Lüg mich nicht an! Bitte nicht. Wenn du Zoran suchst … ich habe keine Ahnung, wo er steckt. All diese Reporter, die hier dauernd aufkreuzen. Branko sagt …«
»Ich wollte mit dir über Dalia sprechen, und über …«
»Dalia ist tot. Das weißt du doch. Ich möchte nicht über meine Tochter sprechen. Das tut so weh. Immer noch.«
»Vielleicht können wir über ihren Vater sprechen.«
»Über Dalias Vater?«
»Ja.«
»Wie gesagt, Branko ist zur Sparkasse. Aber er müsste ungefähr in einer Stunde zurück sein.«
»Alenka, ich möchte jetzt nicht mit Branko reden. Ich möchte mit dir über Dalias Vater reden.«
Alenka starrte auf die Tischplatte aus Resopal, auf Kristinas Hände, unter denen ihre eigenen vergraben waren.
»Du hast schöne Hände, Kristina. Sehr schöne Hände. Du bist eine schöne Frau. Wie alt bist du?«
»Ich? Achtundzwanzig.«
»Du sagst das so, als schämtest du dich deiner Jugend. Schäme dich nicht. Genieße die Zeit, solange du jung und schön bist. Du hast noch keine eigenen Kinder, nicht wahr?«
»Nein.«
»Die deutschen Frauen bekommen heutzutage erst sehr spät Kinder. Oder gar nicht. Sie wollen lieber ihrem Beruf nachgehen. Eigenes Geld verdienen. Spaß haben. Karriere machen.«
»Es gab noch nicht den richtigen Mann bisher.«
»Ja. Der richtige Mann. Die jungen deutschen Frauen suchen sich die Männer aus. Das ist gut so, Kristina. Suche dir in aller Ruhe den richtigen Mann aus. Sei wählerisch. Das ist wichtig. Zu meiner Zeit war das anders. In meinem Heimatland. Die Familien trafen die Wahl. Ich weiß nicht, wie das heute ist in Kroatien. Ich war schon lange nicht mehr dort.«
»Vermisst du deine Heimat?«
»Nein. Der Krieg hat alle Sehnsucht zerstört.«
»Warum bist du damals nach Deutschland gekommen?«
Ein schwaches Lächeln huschte über Alenkas Gesicht. Die müden Augen kramten in längst verscharrten Erinnerungen.
»Ich wurde nicht gefragt, Kristina. Niemand hat mich gefragt, ob ich nach Deutschland will. An einem Sonntag im Frühjahr 1990 holte Milan Jerkov mich in Vukovar ab. Ich war 16 damals.
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