Bitter Love
Chancy-Avenue-Lokal hat mir erzählt, dass er gerade ziemlich rumwütet. Anscheinend hat er den Leiter von der Innenstadtfiliale beim Klauen erwischt und bildet sich jetzt ein, wir wollten ihn alle drankriegen. Nan sagt, er feuert massenhaft Leute, aus dem kleinsten Anlass. Nur darum drückt sich das alte Arschloch dauernd hier rum.«
»Oh«, machte ich. »Dann hätte er mich heute garantiert rausgeschmissen.«
Sie nickte. »Kann schon sein. Und mich vielleicht gleich mit.«
Ich lehnte mich wieder gegen den Türrahmen. Den Job zu verlieren war wirklich das Letzte, was ich brauchte. Ich hatte höchstens die Hälfte von dem Geld für Colorado zusammen – und das auch nur dann, wenn Bethany nicht irgendwelche kostspieligen neuen Ideen hatte, zum Beispiel einen Campingbus oder Sternegucken in einer exklusiven Berghütte. Wie immer, wenn ich an Coloradodachte, war ich sofort aufgeregt, darum wanderten meine Finger unwillkürlich zu der Kette um meinen Hals. Doch dieses Mal war es ein anderes Gefühl als sonst: nicht die freudige Erwartung, dass der Tag näher rückte, an dem ich endlich dorthin käme, sondern Unruhe über das, was am Vorabend mit Bethany passiert war. Ich konnte mir zwar kaum vorstellen, dass sie wegen Coles Ausraster gar nicht mehr würde fahren wollen, aber vielleicht bezweifelte sie, ob ich überhaupt noch mitwollte. Wir hatten uns schon öfter gestritten, uns aber immer wieder versöhnt. Ich hoffte nur, dass das auch diesmal der Fall sein würde.
Ich hätte sie gleich morgens anrufen und mich auf der Stelle entschuldigen sollen. Ich beschloss, das sofort nachzuholen, wenn meine Schicht vorbei war.
»Hör zu«, sagte Georgia jetzt und beugte sich vor. »Ich sag dir trotzdem, was ich allen sage. Lily kommt im Herbst in die Schule und ich brauch dir nicht groß zu erklären, was das bedeutet: Es wird uns eine Stange Geld kosten, sie irgendwo hinzuschicken, wo sie gut aufgehoben ist. Was heißt, ich kann mir absolut nicht leisten, meinen Job zu verlieren. Darum brauche ich alle Hilfe, die ich kriegen kann. Und wer mir hilft, dem helfe ich. Du weißt, dass ich immer hinter euch stehe.«
Vorne ging die Türglocke und wir beugten uns beide vor, um zu sehen, wer das Lokal betrat. Es war ein älteres Ehepaar, mit dem Jerry offenbar ohne Hilfe klarkam. Die Anspannung, unter der Georgia stand, war beinahe zum Greifen, auch wenn sie sich jetzt wieder zurück auf ihren knarrenden Stuhl sinken ließ. Die Sache mit Dave machte ihr sehr zu schaffen.
Ich konnte es ihr nicht verdenken. Georgias Tochter Lily hatte als Baby eine Art Unfall gehabt, darum hatte sie jetzt verschiedene gesundheitliche Probleme und war in ihrer Entwicklung verzögert. Georgia redete nur selten über Lilys Zustand und brachte sie fast nie mit hierher. Sie und ihr Mann arbeiteten hart, um so gut wie möglich für Lily sorgen zu können, aber sie hatten wenig Geld. Ihre Stelle zu verlieren war schon immer eine große Bedrohung für Georgia gewesen.
Ich nickte. »Ich hab’s kapiert. Kein Problem. Das passiert nicht wieder.«
Georgia stand auf und legte mir die Hand auf den Arm. »Das weiß ich«, sagte sie und tätschelte meinen Ellbogen. »Du gehörst zu den wenigen Leuten, auf die ich mich wirklich verlassen kann.« Dann drehte sie mich um Richtung Küche. »Und jetzt sieh zu, dass du nach vorne kommst. Die Arbeit ruft, du verwöhntes Gör. Meinst du, das Gemüse schneidet sich von selbst, während du hier rumlungerst und dich in aller Seelenruhe hübsch machst?«
Ich stand stramm und salutierte. Sie war eindeutig nicht mehr sauer auf mich. Zwischen uns war alles wieder in Ordnung.
Ich lief zum Vorratsraum und schnappte mir eine Tüte Salat, ein paar Tomaten und eine Dose Gurken. Ich kümmerte mich gern um das Gemüse. Diese Arbeit war leicht und ich konnte hin- und herlaufen, statt an der Kasse festzusitzen und einen grünen Tee nach dem anderen auszuschenken. Vor allem musste ich bei dem Job nicht den Müll wegräumen, den die Kunden auf den Tischen hinterließen. In gleichbleibendem Rhythmus Gemüsezu schneiden, wirkte beruhigend auf mich, fast ein bisschen so, als würde ich Radio hören.
Es war die ganze Schicht über ziemlich viel Betrieb. Andauernd strömten neue Kunden herein. Ich musste meine Schnibbelarbeit immer wieder unterbrechen, um zu kassieren, wodurch eine Menge Plastikhandschuhe im Müll landeten. Und das, obwohl der Abend näher rückte – dann würde es noch voller werden und den Leuten in der Küche
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