Bitter Süsse Tode
ich konnte ihn nicht daran hindern. Mit der freien Hand streichelte er meine Wange, fuhr sacht die Kontur meines Halses nach. Unterhalb des Schädelknochens schloss sich sein Griff, und er begann zu drücken.
»Jean-Claude, nein, bitte!«
Er drückte mich mit dem Gesicht näher und näher zu der Wunde an seiner Brust. Ich wehrte mich, aber seine Finger waren wie festgeschweißt. »NEIN!«
Nikolaos' Gelächter verwandelte sich in Worte. »Streife ihn nur sacht, und wir werden einander gleichen, Animator.«
»Jean-Claude!«, kreischte ich.
Seine Stimme war wie Samt, warm und dunkel glitt sie durch meinen Verstand. »Blut von meinem Blute, Fleisch von meinem Fleische, zwei Seelen mit nur einem Körper, zwei verbunden zu einem.« Einen strahlenden Augenblick lang sah und fühlte ich es. Die Ewigkeit mit Jean-Claude. Seine Berührung... für immer. Seine Lippen. Sein Blut.
Ich riss erstaunt die Augen auf und fühlte beinahe meine Lippen seine Wunde berühren. Ich hätte sie mit der Zunge erreichen können. »Jean-Claude, nein! Jean-Claude!« Ich schrie seinen Namen. »Gott steh mir bei!« Auch das schrie ich.
Es war finster, und jemand packte mich an der Schulter. Ich fasste keinen Gedanken, der reine Instinkt ließ mich handeln. Die Pistole vom Bettende war in meiner Hand und drehte sich mit der Mündung nach vorn.
Eine Hand fing meinen Arm unter dem Kopfkissen ab, sodass die Mündung zur Wand zeigte, ein Körper presste mich nieder. »Anita, Anita, ich bin's, Edward. Sieh mich an!«
Ich blinzelte in das Gesicht von Edward, der meine Arme auf das Bett heftete. Sein Atem ging ein bisschen hastig.
Ich starrte auf die Waffe in meiner Hand und dann in sein Gesicht. Er hielt mich weiterhin fest. Ich nahm es ihm bestimmt nicht übel.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
Ich nickte.
»Sag etwas, Anita.«
»Ich hatte einen Albtraum«, antwortete ich.
»Hat sich ganz danach angehört.« Er schüttelte den Kopf und ließ mich langsam los.
Ich schob die Pistole wieder ins Holster.
»Wer ist Jean-Claude?«, fragte er.
»Warum?«
»Du hast seinen Namen gerufen.«
Ich wischte mir über die Stirn, und meine Hand war nass davon. Mein Schlafanzug und die Laken waren durchgeschwitzt. Die Albträume fingen an, mir auf die Nerven zu gehen.
»Wie spät ist es?« Es wirkte so dunkel im Zimmer, als wäre die Sonne schon untergegangen. Mein Magen zog sich zusammen. Wenn es schon dunkel war, hatte Catherine keine Chance mehr.
»Keine Panik, das sind nur Wolken. Bis Sonnenuntergang bleiben noch vier Stunden.«
Ich seufzte tief und taumelte ins Badezimmer. Ich wusch mir Gesicht und Hals mit kaltem Wasser. Mein Spiegelbild war geisterhaft. War der Traum Jean-Claudes oder Nikolaos' Werk gewesen? Wenn Nikolaos es getan hatte, hieß das, dass sie noch Macht über mich hatte? Keine Ahnung. Und auch sonst hatte ich keine Ahnung.
Edward saß noch in dem weißen Sessel, als ich wieder herauskam. Er musterte mich, als wäre ich eine seltsame Spezies, die er noch nie zuvor gesehen hatte.
Ich beachtete ihn nicht weiter, sondern rief in Catherines Büro an. »Hallo, Betty, hier ist Anita Blake. Ist Catherine da?«
»Hallo, Mrs. Blake. Ich dachte, Sie wüssten, dass Mrs. Maison vom dreizehnten bis zum zwanzigsten wegen einer Zeugenaussage nicht in der Stadt ist.«
Catherine hatte es mir gesagt, aber ich hatte es vergessen. Endlich mal Glück gehabt. Wurde auch Zeit. »Hab ich ganz vergessen, Betty. Ich danke Ihnen sehr. Mehr als Sie überhaupt ahnen können.«
»Schön, dass ich Ihnen behilflich sein konnte. Mrs. Maison hat die erste Anprobe des Hochzeitskleids auf den dreiundzwanzigsten gelegt.« Sie sagte es, als müsste ich mich jetzt besser fühlen. Tat ich aber nicht.
»Ich werde daran denken. Wiedersehen.«
»Schönen Tag noch.«
Ich legte auf und rief Irving Griswold an. Er war Journalist beim Saint Louis Post-Dispatch. Außerdem war er ein Werwolf. Irving, der Werwolf. Das passte nicht so richtig, aber was passte schon? Charles, der Werwolf? Wohl auch nicht. Justin, Oliver, Wilbur, Brent? Nee. Irving ging beim dritten Klingeln ran.
»Hier ist Anita Blake.«
»Oh, hallo, was gibt's?« Er hörte sich misstrauisch an, so als riefe ich ihn nur an, wenn ich etwas von ihm brauchte.
»Kennen Sie irgendwelche Werratten?«
Er schwieg fast ein bisschen zu lange, dann fragte er: »Warum wollen Sie das wissen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Sie meinen, Sie wollen meine Hilfe, aber ich soll dabei keine Story
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