Bittere Delikatessen
telefonierte mit der Festung und setzte Baumann, Schranz und Miller in Bewegung. Sie sollten die Angestellten des Fressimperiums unter die Lupe nehmen.
Als er auflegte, zeigte Ria ihm ein Fotoalbum. »Das einzige. Besonders sentimental war Fabian anscheinend nicht.«
Ben sah Hochzeitsfotos. Sechzigerjahre, schätzte er. Der Bräutigam war der Feinkost-König, damals noch schlank. Die Braut kam Ben bekannt vor.
»Angelika Franke«, erklärte Ria. »Die habe ich erst neulich im Fernsehen gesehen. Samstagabend, die UNICEF-Gala.«
»Seit wann guckst du dir so was an?«
Ria wandte sich ab und legte das Album zurück. Ben beeilte sich, mit dem Wohnzimmer fertig zu werden. Zu viel Blut. Zu wenige Spuren.
Die Wohnung hatte drei große Zimmer, Diele, Küche und Bad. Die Decke schien hier noch höher zu sein als im Stockwerk darüber. Hätte hier kein Toter gelegen, würde ihm die Wohnung gefallen. Selten hatte Ben in Innenräumen so viel Luft über dem Kopf gehabt.
Bevor er die Spiegeltüren des Schlafzimmerschranks öffnete, hielt er einen Moment inne. Die Sonne fiel auf sein braunes Haar. Er trug es kurz und zurückgekämmt. Noch hatte er keine Spur von Grau entdeckt, und künftige Geheimratsecken deuteten sich nur zaghaft an. Er hatte die Zukunft noch vor sich, aber keinen Schimmer, was sie bringen könnte. Vielleicht besser so.
Im Schrank hing ein Dutzend zeltähnlicher, grauer Sakkos, und mehrere Stapel korrekt gefalteter, weißer Hemden lagen in den Fächern. In einer Kommode stieß Ben auf Zeitungsausschnitte. Mit der Schere säuberlich aus Blitz und Morgenpost ausgeschnitten und in einer Schublade verwahrt. Artikel, die erst wenige Tage alt waren. Immer wieder las Ben die Namen Watzmannhaus und Nora Fabian. Ein Foto zeigte eine attraktive Blondine, auch sie kam Ben bekannt vor. Er rief Ria.
»Nora Fabian – seine Tochter«, sagte sie.
»Also zumindest ein bisschen sentimental«, sagte Ben. »Hast du noch etwas entdeckt?«
»Nein. Für jemanden, der schon seit Jahren hier wohnt, wirkt die Wohnung sehr clean. Zu clean für meinen Geschmack. Das wär's dann wohl.«
»Muy bien«, meinte Ben. »Dann nehmen wir uns die Tochter vor.«
Ria streifte seine Schulter. »Gehst du noch zum Spanischunterricht?«, fragte sie.
»Nein.«
»Ich habe auch nicht wieder angefangen, seit damals. Ich sage immer, ich habe keine Zeit. Aber in Wirklichkeit bin ich einfach zu faul.«
»Ich habe auch keine Zeit«, sagte Ben. Er warf einen Blick in die Nachtkästchen zu beiden Seiten des Betts.
»Spielst du noch manchmal den großen Tröster?«, fragte Ria unvermittelt.
Ben fuhr herum. Der große Tröster. Sein alter Spitzname. »Woher ...«
»... ich das weiß? Hör mal, wir arbeiten in ein und derselben Behörde. Solche Dinge sprechen sich herum.«
»Das war, als ich Streifendienst machte. Das ist lange her. Ich hatte genug Probleme damit. Und jetzt ist Schluss, verdammt noch mal! Ich will davon nichts mehr hören.« Verärgert stieß Ben mit dem Fuß gegen einen Stapel Zeitschriften, der zwischen Bett und Fernsehgerät lag. »Und was ist das?«
»Sexheftchen. Harmlos.«
Ben hob das oberste auf. Jung und frei – das FKK-Magazin. Das Titelbild: Zwei nackte Mädchen, die eine vielleicht neun Jahre alt, die andere etwas älter mit ersten Anzeichen sprießender Brüste. »Harmlos nennst du das?«
Ria Pohl zuckte mit den Schultern.
Weitere Hefte: Neues aus der internationalen Welt der FKK-Jugend. Im Inneren der Hefte weitere Nackte: Familien beim Volleyballspiel am Strand, Frauen am Strand – und immer wieder Kinder. Überschriften: Mit Papi in die Ferien und Nackt sein – die natürlichste Sache der Welt. Kinder beiderlei Geschlechts, schräg von unten fotografiert, an nichts Böses denkend, lachten sie in die Kamera. Ein nacktes Mädchen, das auf dem Rücken eines dicken FKK-Anhängers ritt. Ein nackter Junge, gefesselt an einen Baum. Die natürlichste Sache der Welt. Ben sah rot. Auf seiner Stirn übte eine Ader Stepptanzen.
»Daran hat er sich aufgegeilt, dieser Kinderficker! Das nennst du harmlos? Das ist eine Wichsvorlage für VERDAMMTE KINDERFICKER!«
»Schrei mich nicht an, Ben. Ich sag doch nur, dass das ganz legale Hefte sind. Die kriegst du an jedem Kiosk. Deswegen wird kein Mensch umgebracht.«
»EIN SCHEISS-KINDERFICKER!« Ben trat nach dem Stapel. Die Zeitschriften flogen durch das Zimmer.
»Beruhig dich, Ben! In der ganzen Wohnung gibt es sonst keinerlei Anhaltspunkte auf abartige Neigungen. Fahren nicht
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