Bittere Delikatessen
Streifenbeamten ihn nicht bei Fröhlich verpfeifen. Das fehlte noch.
»Und das Depot war leer?«, fragte Bönte.
»Fast. Gerade mal ein Pfund, wo vielleicht mal zehn Kilo lagen.« Toms Gehirn ratterte: Zehn Kilo Kokain gleich eine Million Mark Endverkaufspreis. Und das alles in einem unbewachten Schuppen, in offenen Sektkartons. Wahnsinn.
Bönte nickte in Richtung Jugendstilfassade. »Wahrscheinlich pfeift er sich grade 'ne Prise von dem Schnee rein.«
Die Order des K2-Chefs: Verschärfte Bewachung von Spaghetti-Enzo. Über den Jungen sollten sie die richtig großen Fische schnappen. Die Sonderkommission war in fiebriger Aufregung, vor allem Hauptkommissar Fröhlich. Der K2-Chef witterte seine Chance, beim Innenminister Eindruck zu schinden. Wahrscheinlich hatte er es bitter nötig.
»Da kommt der Spaghetti!«, rief Bönte.
Sie starteten und verfolgten den Jungen zum Bahnhof. Aus der Distanz beobachteten sie, wie er sich mit Kleindealern traf, ausgemergelten Gestalten, die in Grüppchen auf dem Vorplatz herumstanden. Sie kratzten sich die Arme, während Enzo mit ihnen tuschelte.
»There is no business like snowbusiness«, kommentierte Bönte.
Sie blieben sitzen. Die Order Fröhlichs: Nicht einschreiten, nur beobachten. Tom bediente die Videokamera.
Der langhaarige Junge kam mit federndem Schritt zurück und stieg in sein Auto. Bönte setzte den Vectra wieder in Bewegung.
Nach kurzer Verfolgung sagte Tom: »Er besucht seine Freundin.«
Sein Kollege verzog die Mundwinkel. »Fernseh-Tussi, Schickeria. Das meiste von seinem Pulver setzt er in diesen Kreisen ab, nicht am Bahnhof. Da kannst du Gift drauf nehmen. Für das Geld, das die ausgeben, um sich eine Prise in die Nase zu jagen, könnte ich wahrscheinlich eine Woche lang in Altbier duschen. Diese Fernsehschnösel würde ich zu gern mal hochgehen lassen!«
11.
Von der Straße aus gesehen war es ein unscheinbares Haus. Niedrig, kleine Fenster, eine dunkle Holztür mit Vordach. Ben parkte neben der efeuumrankten Mauer, die das Grundstück uneinsehbar machte. Es war still, nicht einmal ein Vogellaut. Die Mittagshitze schien alles Lebende zu lähmen.
Als Ben vor der Tür stand, rekapitulierte er, was er über Nora Fabian wusste. Seine Erinnerung, die frühen Siebziger: Die Kinder vom Ammerhof, ein süßes Mädchen in einer Fernsehserie seiner Kindheit, die Tochter eines Ponyhofbesitzers. Die späten Siebziger und frühen Achtziger: die Entdeckung durch den neuen deutschen Film und Starruhm in Frankreich. In den Jahren danach: Affären, Alkohol und der Absturz, den die Hauptrolle in einem Softsex-Film beschleunigte statt aufhielt. Und jetzt: das Comeback der Nora Fabian, Pro-Sat hatte ihr die Hauptrolle im Watzmannhaus gegeben. Neuer Glanz und vermutlich dicke Gage, Nora Fabian offensichtlich trockengelegt. Aus der Tochter war die Besitzerin geworden und aus dem Ponyhof ein Ferienhotel in den Alpen.
Ben drückte auf die Klingel.
Es blieb still.
Er sah sich um. Viel Grün, von den Nachbarvillen war nur wenig zu sehen. Außer seinem klapprigen Dienstwagen parkte kein Auto in der Straße. Hier hatte man selbst für Besucher Garagen. Über dem weichen Asphalt flirrte die Luft. Zwei Fliegen jagten sich vor seiner Nase, ließen sich kopulierend auf dem Türknauf nieder. Als Ben ein zweites Mal die lautlose Klingel drücken wollte, ging die Tür auf. Die Fliegen schossen hoch, und er sah in das Lächeln einer Frau. Mitte zwanzig, schulterlanges braunes Haar und von einer unbeschwerten Frische, die mit Abkühlung nichts zu tun hatte.
»Engel. Benedikt Engel, Kriminalpolizei.«
»Ich wusste gar nicht, dass bei der Polizei so attraktive Männer arbeiten.«
Ben lächelte zurück. »Zwecklos. Mit Komplimenten lasse ich mich nicht bestechen.«
»Womit dann?«
»Ich möchte Nora Fabian sprechen.«
»Schade. Nora Fabian?«
»Sie haben es exakt erfasst.«
»Na gut, weil Sie es sind. Kommen Sie rein, folgen Sie mir.«
In der Eingangshalle hingen Filmplakate. Eine Blondine mit wechselnden Filmpartnern. Umarmungen, Kussszenen, gestellte Standfotos. Darunter die Titel: Ein Käfig voller Irrer – Die erste Metro – Sommer der Leidenschaft. Die Brünette führte Ben eine Wendeltreppe hinab. Er roch ihr Parfüm und war irritiert. Sie trug eine weiße Kittelschürze, war aber ganz anders als die Zielgruppe von Alex Vogels Klatschgeschichten.
Sie standen auf einem grellbunten Designerteppich und sahen durch die Glasfront auf einen weitläufigen Garten, der
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