Bittere Mandeln
gestohlen!«
»Vielleicht. Aber mittlerweile glaube ich, daß die Frau, die Ishida-san die Gefäße gebracht hat, tatsächlich eine …« Er schwieg, als falle es ihm schwer, die letzten Worte des Satzes auszusprechen. »… Kayama war.«
»Es war mit Sicherheit nicht Natsumi. Mr. Ishida hat gesagt, die Frau sei über fünfzig gewesen.«
»Nein, ich meine Reiko Kayama. Meine Mutter. Ich glaube schon seit einiger Zeit, daß sie möglicherweise noch am Leben ist.«
19
Jedes Kind, das seine Mutter verloren hat, träumt wahrscheinlich von ihrer wunderbaren Rückkehr. In meiner sanftesten Stimme sagte ich zu Takeo: »Setzen wir uns erst mal und reden darüber. Meine Wohnung ist nicht mehr weit.«
»Nein, ich muß nach Hause. Ich möchte Ihnen etwas zeigen, heute abend, wenn niemand unten am Empfang ist, der Ihren Besuch bemerkt. Morgen fahren wir dann nach Izu, um uns ein paar Dinge im Lagerhaus unserer Familie anzusehen. Sie können doch fahren, oder?«
»Ja, aber ich habe morgen zu tun.« Außerdem fühlte ich mich durch seine Anweisungen überrumpelt. Er verhielt sich völlig irrational. Wahrscheinlich stand er unter Schock.
»Immer haben Sie zu tun! Na gut, ich werde Sie nicht zwingen, mich zu begleiten … Jedenfalls halte ich jetzt dieses Taxi auf.« Takeo trat auf die Straße und hob den Arm, um den Wagen heranzurufen, der sich uns langsam näherte.
»Das ist bestimmt besetzt«, sagte ich, weil ich fest damit rechnete, daß es heute genauso laufen würde wie an allen verregneten Abenden. Doch das Taxi war tatsächlich frei. Die Tür ging auf, und Takeo stieg ein.
»Na, was sagen Sie jetzt?« fragte er.
»Tja, die Reichen haben wohl immer Glück«, sagte ich mit einer Mischung aus Sorge und Verärgerung. Für mich hätte der Taxifahrer nicht angehalten, das wußte ich genau.
»Zum Kayama Kaikan«, sagte Takeo zum Fahrer, der ihn erstaunt im Rückspiegel ansah. Er hatte den Millionärssohn erkannt, doch Takeo schien das nicht zu registrieren. Er starrte schweigend in den Regen hinaus. Ich drückte mich in die andere Ecke der Rückbank und wischte mir nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht. Natürlich war ich neugierig, was Takeo über seine Mutter zu sagen hatte, aber vor dem Taxifahrer würde er es mir kaum erzählen.
Als wir am Kayama Kaikan ankamen, erlebte ich eine Überraschung, denn der hochmoderne Glasturm hatte einen altmodischen Seiteneingang – immerhin aus feuerfestem Stahl –, dessen Tür Takeo mit einem ganz normalen Schlüssel aufschloß. Ich ließ ihn vor mir hineingehen, weil ich erwartete, daß er ein Alarmsystem abschalten müßte, doch es gab keines.
»Das Gebäude hier ist ungefähr so sicher wie einer von den Pappkartons, in denen die Obdachlosen in der Shinjuku-Station übernachten«, sagte ich. »Da ist ja meine Wohnung noch besser. Ich habe immerhin drei Schlösser an der Tür. Hier gibt’s nur eins.«
»Für mich ist es angenehm, weil ich kommen und gehen kann, wie ich will, aber wahrscheinlich haben Sie recht. Ich werde mit meinem Vater darüber reden.«
Takeo öffnete eine Tür, die vom Flur abging, und uns schlug eiskalte Luft entgegen. Ich sah große Eimer mit Blumen und Zweigen. »Hier bewahren wir die Pflanzen für die Kurse auf. Wir bekommen täglich eine Lieferung, deshalb sind nicht so viele Blumen da«, sagte Takeo.
Im nächsten Raum, den er mir zeigte, gab es einen Luftbefeuchter, so daß es genauso feucht wie draußen in der Regennacht war, aber nicht so kalt wie zuvor im Kühlraum. Die Wände waren von oben bis unten mit Holzregalen voll beschrifteter Kästchen bedeckt. Takeo erklärte mir, daß sich darin Ikebana-Gefäße aus Holz und Schatullen für besondere Anlässe befanden.
»Wurden die Kayama-Keramiken hier aufbewahrt?« fragte ich, obwohl ich nirgends Lücken entdeckte.
»Nein, im nächsten Raum.« Nachdem er dort das Licht eingeschaltet hatte, deutete er auf eine ungefähr sieben mal zwei Meter große leere Regalwand. »Da drin waren die Kayama-Keramiken.«
»Schon merkwürdig, daß der Dieb die Behälter nicht hiergelassen hat, damit es aussieht, als würde nichts fehlen«, sagte ich.
»Die Kayama-Keramiken sind mit ihren Behältern mehr wert, weil sich darauf der Schulstempel, das Jahr und die Signatur des Künstlers befinden.«
»Wieso hat keiner der Angestellten bemerkt, daß die Kisten verschwunden sind?« fragte ich. »Wer darf überhaupt in diese Räume?«
»Fast alle Angestellten. Wenn man zum Beispiel ein Blumenarrangement für den
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