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Bittere Pille

Bittere Pille

Titel: Bittere Pille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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fällt mir noch etwas ein, was ich dem Staatsanwalt
erzählen kann.« Ulbricht erhob sich, griff nach seinem
Mantel, den er achtlos über die Lehne eines Stuhls geworfen
hatte, klimperte in den Taschen nach Silbergeld für den
Zigarettenautomaten. »Morgen um halb acht hier. Ich bin jetzt
weg«, stieß er noch hervor und stürmte dann nach
draußen.

22
    Schloss Burg, 16:50
Uhr
    An der Sesselbahn
herrschte nur noch wenig Betrieb. Die meisten Ausflügler waren
bereits auf dem Heimweg, um sich auf die am nächsten Tag
beginnende Arbeitswoche vorzubereiten. Heike und Stefan lehnten am
Jägerzaun zwischen der Bergstation und dem kleinen Café
und blickten hinunter ins Tal. Zwischen dem satten Grün der
Hügel glitzerte rechts unten das kleine, silbrige Band des
Eschbachs. In Unterburg mündete der Bach in die Wupper.
Unterburg lag wie die Landschaft einer Modelleisenbahn eingekeilt
im Tal. Heike erinnerte sich daran, wie sie als Kind oft mit den
Eltern hier gewesen war. Meist an Sonntagen - mit der Oma, den
Onkels und Tanten - zum Familienausflug. Oma hatte die ganze Bande
dann zum Kaffee eingeladen, die Kinder hatten eine Burger Brezel um
den Hals gehängt bekommen, und Heike erinnerte sich an das
kleine Rasselrad, das, mit Süßigkeiten gefüllt,
einen Heidenkrach auf dem Kopfsteinpflaster des Burghofs verursacht
und die Blicke der anderen Touristen auf sie gelenkt hatte. Sie
seufzte bei dem Gedanken an die alte Zeit. Oma war längst tot,
Vater ebenfalls. Nur noch eine einzige Tante, die Mutter und der
Bruder waren ihr geblieben. Wie doch die Zeit verging, dachte sie
und lehnte sich an Stefans breite Schulter.
    Wann war sie
eigentlich zum letzten Mal auf dem Friedhof gewesen, um ihnen
Blumen aufs Grab zu stellen? Sie wusste es nicht und schämte
sich ein wenig dafür.
    Ihr Onkel Paul hatte
im Schichtdienst in den Stahlwerken Remscheid gearbeitet, einst
BSB, später dann Mannesmann. Ein Malocher, wie er im Buche
stand. Bei Oma hatte es immer ein Rentnergedeck für ihn
gegeben: einen Klaren und ein Bier zum Abendbrot. Und fettigen Aal,
obwohl er den nie vertragen und danach gerülpst hatte wie ein
Bulle. Und Oma, die Brot- und Käsekanten nicht mehr hatte
beißen können, hatte die Essensreste immer durch das
Küchenfenster in den Garten geworfen. »Für die
Vögel«, hatte sie geschrien, da sie schwerhörig
gewesen war. Onkel Horst war bei der Berufsgenossenschaft
beschäftigt gewesen, daran erinnerte sie sich auch noch.
Sesselfurzer hatten ihn seine Brüder immer genannt. Immerhin
hatte er seine beiden Brüder überlebt, wenn leider auch
nicht lange. Jedenfalls hatten Omas drei Söhne sonntags immer
nebeneinander auf der Couch in Omas Wohnküche gesessen und
Sportschau geguckt, während Mutter und die Tanten sich
über die neuesten Modetrends unterhalten und Oma bei Laune
gehalten hatten. Bei den »Waltons« hatten sie alle
vereint am Küchentisch gesessen, und nach dem letzten
»Gute Nacht, John-Boy« hatte sich die traute
Familienrunde aufgelöst, um in den Alltag
zurückzukehren.
    Das alles war
längst vorbei, dachte Heike seufzend. Das alte Haus an der
Auguststraße 29 in Remscheid, in dem ihre Oma gewohnt hatte,
oben links, gab es zwar noch, aber es hatte sich einiges
geändert in den letzten dreißig Jahren. Heike hatte ihre
Kindheit im Bergischen Land gemocht, auch wenn Onkel Paul und Tante
Lydia sich ständig gestritten hatten - es hatte irgendwie
dazugehört. Oder der Mann ihrer Cousine, Gerhard. Er hatte
Pfeife rauchend im Sessel neben dem Ofen gesessen und ihr von Radio
BFBS erzählt. Einem modernen Sender, der die beste Musik
machte und interessante Beitrage brachte - allerdings in englischer
Sprache. Er war junger Lehrer und hatte keine Probleme mit
Englisch. Immerhin hatte er es geschafft, das Interesse der kleinen
Heike am Radiomachen zu wecken.
    Ach ja, Bärbel,
ihre Cousine, hatte als Fremdenführerin hier auf Schloss Burg
gearbeitet. Mein Gott, dachte Heike, war das lange her. Ob sie noch
immer hier arbeitete und Besucher durch das Schloss der Grafen von
Berg führte?
    »Lass uns mal
’ne Runde drehen, vielleicht ist sie schon längst
hier«, riss Stefans Stimme Heike aus ihren Gedanken. Sanft
küsste er
ihre Stirn und strich ihr durch das Haar. Er konnte ja nicht ahnen,
dass Heike gerade eine Zeitreise in ihre Kindheit unternommen
hatte. Nun standen sie an den eisernen Münzfernrohren, mit
denen man die Aussicht betrachten konnte. Drei Fahnen flatterten
links neben ihnen im seichten Abendwind.
    Sie

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