Bittere Pille
klingelte!
Noch bevor sie das
Telefon aus der Tasche ziehen konnte, nahm die Lautstärke des
Klingeins zu. Sie warf Kalla einen Blick zu, der tonlos einen Satz
mit den Lippen formte: Mach es aus.
Unten im Flur
rührte sich etwas. »Ich weiß, dass Sie hier drin
sind. Hören Sie, ich werde sofort die Polizei rufen, und dann
…" »Warten Sie, warten Sie!« Kalla sprang vor
und umklammerte das Treppengeländer, um sich in die Tiefe zu
beugen. Heike trat neben ihn. Unten im Flur stand eine Frau. Sie
war etwa in Heikes Alter, trug das dunkle Haar schulterlang.
Ängstlich blickte sie nach oben. »Es ist alles in
Ordnung, junge Frau!« Kalla polterte die Treppe hinunter und
hob beschwichtigend die Hände. »Warten Sie und rufen Sie
nicht die Polizei. Wir sind die Guten.« Er grinste schief.
»Es ist nicht das, wonach es aussieht.«
»Sie haben
vielleicht Nerven!« Die Frau stemmte wütend die
Hände in die Hüften. »Wie kommen Sie überhaupt
hier rein?« Ihre anfängliche Angst wurde von Wut
verdrängt. »Für mich sieht das nach einem Einbruch
aus!« Sie sprach einen leichten mosel-fränkischen
Dialekt, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie aus
dieser Gegend kam.
Heike kam auch nach
unten und grüßte mit einem Nicken. Die Frau war von
zierlicher Statur, einen halben Kopf größer als Heike.
Sie trug ein knielanges Sommerkleid und leichte Schuhe. Eine
dezente Parfümwolke ging von ihr aus. Angel, diagnostizierte
Heike und drängte sich an Kallas massigem Körper vorbei.
»Mein Name ist Heike Göbel, ich arbeite für die
Wupperwelle. Das ist ein privater Radiosender.« Sie deutete
auf Kalla. »Und das ist ein … Kollege.« Heike
zog eine ihrer Visitenkarten hervor und überreichte sie der
Frau.
Sie nahm die Karte und
warf einen Blick darauf. Langsam beruhigte sie sich. »Corinna
Ückesheim.« Sie deutete nach hinten, zur Haustüre.
»Die Haustür war nur angelehnt. Sie sind also
Journalisten? Darf ich wissen, was Sie im Haus meiner Schwester zu
suchen haben?«
Jetzt fiel der
Groschen. Vor Heike und Kalla stand Monika Borns Schwester. Die
wirkliche Schwester, wohlgemerkt. »Wir sind Ihnen eine
Erklärung schuldig, fürchte ich.«
»Das
fürchte ich auch.«
»Sie sind von
Monika beauftragt worden, die Blumen zu gießen und nach dem
Rechten zu sehen, stimmt’s?« Heike lächelte
freundlich. »Woher wissen Sie das alles?«
»Gerda, die
Nachbarin, war so freundlich, mich für Sie zu halten. Es gibt
schlechte Nachrichten, was Ihre Schwester und Peter Born
betrifft.« Heike musste jetzt mit offenen Karten spielen.
»Vielleicht sollten wir uns setzen?«
»Im
Wohnzimmer.« Corinna Ückesheim ging vor. Sie sanken auf
das Sofa. Die fette Katze trat an die Tür der Veranda und
glotzte ins Wohnzimmer.
»Also«,
sagte Corinna Ückesheim. »Was haben Sie im Haus meiner
Schwester zu suchen, und was sind das für schlechte
Nachrichten?« Heike warf Kalla einen hilfesuchenden Blick
zu.
Kalla räusperte
sich und beugte sich vor. »Sie müssen jetzt sehr tapfer
sein, Frau Ückesheim.«
Corinna
Ückesheims Nervosität steigerte sich. Sie wippte auf und
ab. Ihr Blick huschte unstet zwischen den Eindringlingen hin und
her.
Heike übernahm
wieder. »Ihre Schwester und Ihr Schwager wurden Opfer von
Gewaltverbrechen. Beide haben die Anschläge nicht
überlebt.«
Kopfschütteln.
Corinna Ückesheims Unterlippe bebte. Jede Farbe wich aus ihrem
fein geschnittenen Gesicht. »Sagen Sie, dass das nicht wahr
ist.« Die Stimme war nur ein Hauch.
»Ich
fürchte, das kann ich nicht.«
Kalla erhob sich und
trat neben sie. Er legte einen Arm um ihre Schulter, sie ließ
ihn gewähren.
40
Luisen-Cafe, 17:05
Uhr
Mist, dachte er,
fünf Minuten zu spät. Er würde es nie schaffen,
pünktlich zu sein. Obwohl es von seiner Haustür nur ein
Katzensprung gewesen war, hatte Stefan den Käfer mitgenommen.
Nach dem Treffen mit Danni würde er noch einkaufen fahren.
Glücklicherweise hatte er einen Parkplatz direkt vor dem
Café in der Luisenstraße gefunden. Als er mit dem
vierzig Jahre alten VW einparkte, wurde er von gut zehn neugierigen
Augenpaaren beobachtet. Sein Clemens war ein echter
Sympathieträger geworden, dachte er lächelnd,
während er ausstieg und die Tür abschloss. Mit seinem
knappen halben Jahrhundert auf den Achsen trotzte der Käfer
auch den kürzlich eingeführten Umweltzonen in der Stadt -
einem ausgewachsenen Schwachsinn, den sich nur Bürokraten am
Schreibtisch ausgedacht haben konnten, die von der Abgastechnik
eines
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