Bittere Sünde (German Edition)
und Augen, die Ruhe ausstrahlten. Ganz anders als er, mit seinem kantigen Aussehen und dem unsteten Blick. Wäre er eine Katze, wäre er vermutlich ein verlauster Streuner, dachte Erik, während seine Hand durch das Fell des Tieres strich. Er ließ sich die flauschigen Haare durch die Finger gleiten. Wie weich sie war, wie Seide.
Die Katze schnurrte zufrieden mit halb geschlossenen Augen. Gerade, als er das Gesicht in dem kuscheligen Pelz vergraben wollte, hörte er etwas. Jemand weinte, da war ein leises, jammerndes Weinen. Einen Augenblick lang hielt er inne, dann folgte er langsam und zögerlich dem Geräusch.
Der Kies knirschte unter den Schuhsohlen, während er sich der Scheune näherte. Doch das bemerkte er gar nicht, weil seine Gedanken zu beschäftigt waren mit dem Weinen und der Unruhe, die an ihm nagte wie eine tollwütige Ratte. Was erwartete ihn wohl dort drinnen?
Erik holte tief Luft und legte die Hand auf den Türgriff. Reglos verharrte er einen Moment, dann schob er die Scheunentür vorsichtig einen Spaltbreit auf. Sicher ahnte er bereits, was ihn erwartete, aber er konnte es trotzdem nicht lassen.
Er zog Schwierigkeiten an wie das Licht die Motten. Alles andere wäre ihm auch seltsam vorgekommen, er hatte sich daran gewöhnt, dass der Alltag die Hölle war. Jeder Tag ein neues Fegefeuer.
In der Scheune war es zwar dunkel, aber weil Tageslicht durch die Lücken zwischen den Holzlatten drang, konnte man Umrisse ausmachen. Er musste ein paar Mal blinzeln, bis ihm klar war, was er dort sah.
Ein Mädchen saß auf einem Stuhl, das Gesicht nass von Tränen und Rotz. Er wäre so gerne einfach weggelaufen, aber er konnte seinen Blick von ihrem entsetzten Gesicht einfach nicht lösen und stolperte ein paar Schritte in die Scheune.
Dann traf ihn auch schon der Schlag, sofort schmerzte der Kopf und die Beine gaben unter ihm nach, als wären sie aus Papier. Er stürzte vornüber auf den schmutzigen Stallboden und schürfte sich die Hände auf. Er wusste, dass er nicht entkommen konnte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er die wohlbekannte Silhouette, und sie machte ihm mehr Angst als alles andere.
»Du bleibst!« Hart und scharf schnitten die Worte durch die Dunkelheit.
Es war zu spät.
Erik hatte nie gewusst, wieso er so geworden war, wie er war. Jetzt, an diesen Tisch gefesselt, verstand er es plötzlich, und es machte ihn traurig. Er blinzelte. Die Szene in der Scheune verschwand dahin, woher sie gekommen war, und ein starker Lichtstrahl traf auf seine geschlossenen Lider. In seinem Kopf hämmerte es wie wild, und er fürchtete, sich übergeben zu müssen. Wer hatte ihm gestern die Tüte mit dem Schnaps auf die Stufen gestellt? Zwei Flaschen Gin, Gordon’s London Dry. Er hatte seinen Augen kaum getraut … aber wer machte denn so was? Er wusste es nicht.
Tief in ihm drin warnte ihn eine leise Stimme, die Augen besser nicht zu öffnen, sie lieber fest geschlossen zu halten. Aber sein benebelter Verstand wusste nicht, warum, und darum schlug er mühsam die Lider auf und blickte geradewegs in die Gartenlaube. Hinter ihm war eine Kerze angezündet worden, schwach zeichneten sich in ihrem Schein die Konturen des Mobiliars ab. Glücklich war er nie gewesen, doch nun, da sein Leben nur noch an einem seidenen Faden hing, spürte er den starken Wunsch, weiterzuleben.
Seine Augen füllten sich mit Tränen, während sich im flackernden Licht eine Gestalt näherte. Eine andere Gestalt, eine andere Zeit, und doch war es die gleiche Szene. Jetzt war es gleich vorbei, mehr würde nicht kommen. Er sah den Wasserfleck an der Decke, als sein Herz durchstochen wurde. Und dann nichts mehr.
TEIL EINS
Donnerstag, 16. Oktober
1
Magnus und Linn kamen erst nach Mitternacht ins Bett. Und dann lagen sie lange schweigend wach und wälzten sich unruhig hin und her. Ab und zu strömte kühle Nachtluft durch das geöffnete Fenster und streifte sie wie eine erfrischende Brise. Magnus drehte sich auf die Seite. Er konnte Linns Anspannung spüren, wie sie da neben ihm lag. Gerade rührte sie sich zwar nicht, aber er wusste, dass sie wach war, das verrieten ihr schneller Atem und der verkrampfte Körper.
Er streckte die Hand aus und berührte sie. Ihr Nachthemd war warm und seidenweich. Vorsichtig ließ er seine Hand auf ihrer Hüfte ruhen, bevor er sie langsam streichelnd auf Entdeckungsreise über Linns Körper schickte. Sie murmelte schlaftrunken. Der Duft ihrer Haare erregte ihn. Er küsste ihren Mund, ihre Wangen, ihren Hals,
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