Bittere Sünde (German Edition)
rief zu Hause an.
»Hallo Schatz.« Linns Stimme klang dünn.
»Wie läuft’s?«
»Monika geht für uns einkaufen.«
»Wieso das denn?«
»Weil die Kinder und ich krank sind und weil ich unmöglich zwei fiebernde Kinder durch ein Geschäft schleifen kann, zum Beispiel.« Nun war ihr Ton etwas bissig. »Ich kämpfe hier ziemlich, um ehrlich zu sein. Ist doch nett von ihr, dass sie ihre Hilfe angeboten hat.«
Das schlechte Gewissen traf ihn unvorbereitet, doch weil er selbst gar keine Möglichkeit hatte, etwas an der Situation zu ändern, ärgerte ihn diese Information in erster Linie. Es war ihm unangenehm, dass Nachbarn einspringen mussten. Sie waren doch immer allein zurechtgekommen. Weder von Magnus’ noch von Linns Eltern gab es Unterstützung. Magnus’ Mutter lebte im Pflegeheim, und sein Vater war schon lange tot. Anfangs war das natürlich sehr hart gewesen, doch mittlerweile waren sie so sehr an Schwierigkeiten gewöhnt, dass sie routiniert damit umgingen.
Linn hatte keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern. Irgendwann war der Punkt gekommen, an dem sie sich hatte eingestehen müssen, dass es ihr nach den Besuchen dort verdammt schlecht ging und ihre Stimmung sich allmählich auf die Kinder übertrug. So war sie zu dem Entschluss gelangt, den Kontakt abzubrechen. Es war ihr nicht leicht gefallen und belastete sie immer noch, trotzdem ging es seither besser als vorher. Wann genau für Magnus das Fass übergelaufen war, konnte er gar nicht mehr sagen. Vielleicht das eine Mal, als sein Schwiegervater sturzbesoffen mit den Kindern zum Tierpark gefahren war. Oder als sie ihn in die Notaufnahme hatten bringen müssen, weil er seine Schlaftabletten mit Schnaps runtergespült hatte. Aber eigentlich spielte das auch keine Rolle mehr, denn für ihn war das Thema Schwiegereltern abgehakt.
»Magnus? Hallo? Bist du noch dran?«, drang Linns Stimme aus dem Hörer.
»Ja, entschuldige. Ich war in Gedanken. Ist ja nett von Monika, dass sie das macht.«
»Das finde ich auch.«
»Ich muss beruflich nach Åkersberga, komme dann aber so schnell wie möglich nach Hause.«
»Okay.« Linn klang plötzlich weit weg.
»Kommt ihr so lange klar?«
»Ja … Das ist das Schlimmste, was die Kinder bisher hatten, glaube ich. Wenigstens konnte Moa endlich mal ein bisschen schlafen. Wie läuft’s bei dir?«
»Wie immer.«
»Die Pest also. Wie wär’s, wenn wir heute Abend ein Weinchen trinken und einen Film gucken?« Ihre Energie war zurück.
»Das klingt gut, ich besorg was auf dem Rückweg.« Magnus legte auf. Es hatte wieder angefangen zu regnen, und schon glänzte die Straße und wirkte glatt. Im Radio liefen die Nachrichten, er drehte sie lauter.
Ein Lastwagen hupte beharrlich. Das Zentrum von Åkersberga oder vielmehr etwas, das aussah wie die Einfahrt zu einer großen, braunen Garage, lag vor ihm. Als er aus dem Tunnel kam, führte ihn eine scharfe Rechtskurve über die Eisenbahnlinie, dann verlief die Straße parallel zum Åkerskanal. Am anderen Ufer konnte er bereits einen ziegelroten Gebäudekomplex im Nieselregen erkennen. Er erfüllte die Norm für Altersheime: Groß, verwohnt und hässlich. Bald musste er die Todesnachricht überbringen. Irgendwie gab es nie eine Formulierung, die sich passend anfühlte. Es war eine undankbare Aufgabe und das Einzige, was man mit Sicherheit wusste, war, dass es unangenehm werden würde – auch für ihn.
Um kurz vor vier parkte er den Wagen vor dem Seniorenheim und stieg aus.
Die Gegensprechanlage am Eingang gab ein Rauschen von sich, bevor eine helle Männerstimme zu hören war. »Hallo?«
»Hallo, mein Name ist Magnus Kalo. Ich bin vom Landeskriminalamt, Mordkommission …«
Ein kurzes Piepen ertönte, und schon öffnete sich die Automatiktür. Die krankenhausähnliche Umgebung und der Geruch des Linoleums erinnerten ihn an die Vergänglichkeit allen Seins, und sein Mut schwand zusehends.
Eine junge, blondierte Frau mit leicht gerötetem Gesicht tauchte im Eingangsbereich auf. Sie hatte kurze Haare und trug einen weinroten Blazer, der zuletzt in den Achtzigern in Mode gewesen sein musste. Eifrig streckte sie ihm eine Hand entgegen.
»Hallo, Lise Evertzon. Ich bin für das Personal zuständig. Sie sind Polizist, habe ich das richtig verstanden?«
»Ja, ich bin hier, um Gunvor Berggren eine traurige Mitteilung zu überbringen. Ihr Sohn ist verstorben.«
Lises Gesicht wurde noch ein bisschen roter, doch sie schien sich schnell wieder zu fangen. »Das ist ja
Weitere Kostenlose Bücher