Bitterer Chianti
andere. Das war die Seite des sympathischen Draufgängers. Die andere, mehr im Dunkeln, war weniger deutlich, aber sie hatte etwas Verlorenes und war berechnend. Wer mit ihm Geschäfte machte, würde auf der Hut sein müssen.
Immer häufiger kamen Frank bei der Arbeit solche Gedanken. Sie stellten sich von selbst ein, ohne sein Zutun, ohne dass er über die Menschen nachdachte, die vor seiner Linse posierten. Manchmal war es nur ein Auge oder der Mund, eine Bewegung mit dem Kopf, die etwas Entscheidendes ausdrückte. Er betrachtete Scudieres Hände. Sie waren groß, fest, schwielig, den Pfahl, auf den er sie gelegt hatte, hätte er ausreißen können.
«Lassen Sie uns weiter nach unten gehen, da habe ich mehr vom Weinberg im Bild. Was ist das für eine Rebsorte? Die hier, die hinter Ihnen an den Drähten rankt?»
«Das ist Sangiovese, wie fast alles hier», sagte Scudiere, der sich umgedreht hatte. «Mehr als drei Viertel der Toskana sind damit bestockt. Es ist überhaupt Italiens wichtigste Rebsorte. Soweit ich weiß, haben bereits die Etrusker Sangiovese angebaut, die Römer natürlich auch. Die Trauben ähneln einem Herzen, dem man den unteren Teil in die Länge zieht. Hier drüben, gleich gegenüber, auf der anderen Parzelle, da wächst Merlot. Aber der ist bei fast allen längst gelesen.»
Scudiere fand eine Traube, die vergessen worden war. Er ging hinüber und hob sie in die Höhe, ohne sie abzureißen. «Sie ist oben am Stiel geschlossener, nicht so offen. Auch sind die Beeren heller und kleiner, dickschalig, sehen Sie ...» Der Consultore schnitt um die Traube ein wenig Weinlaub weg, sodass die Sonne auf sie schien.
Sofort kniete Frank sich hin und machte einige Aufnahmen, anschließend notierte er auf einem Block unter der Nummer des Films die Nummern der Aufnahmen und das Motiv.
«Das Holz, der Stiel, ist bei Merlot heller, an den Blättern kann man sie auch unterscheiden, allerdings nur, wenn man ein geübtes Auge hat. Ich habe schon viele Fotografen hier arbeiten sehen. Jeder hat seinen eigenen Stil, aber sie arbeiten doch alle ähnlich.»
«Wie die Winzer – und ihre Weine – nehme ich an», warf Frank ein.
«Wenn Sie gute Bilder machen wollen, dann müssen Sie Ihre Möglichkeiten kennen. Sie müssen sehen, ob die Umgebung oder das, was gerade passiert, für ein Bild taugt...»
«Das ist richtig. Ich sehe etwas und will eine Aufnahme davon machen, aber wenn ich die Kamera nehme und durch den Sucher blicke, das heißt, dem Ganzen einen Rahmen gebe, wirkt es oft völlig anders ...»
«Bei Wein ist es ähnlich. Sie müssen wissen, was das Terroir hergibt, der Boden, wie tief er ist, seinen pH-Wert kennen. Wie ist die mineralische Zusammensetzung, mit wie viel Sonnenstunden kann man pro Tag rechnen, und wie reagiert Sangiovese darauf, wie Malvasia und wie Trebbiano ...»
«... nie gehört, diese Namen», sagte Frank halb abwesend und hockte sich vor die Rebzeile mit Sangiovese. Er hatte eine Traube mit einer perfekten Form gefunden, nicht eine einzige Beere war faul oder fehlte. Scudiere legte die Traube mit seiner Gartenschere frei.
«Malvasia und Trebbiano sind weiße Sorten, die bislang mit dem Chianti verschnitten wurden. Damit hat man den Wein geschmacklich in eine bestimmte Richtung gelenkt. Aber nach dem neuen Disziplinar, den Produktionsvorschriften, ist das demnächst untersagt. Weiter unten», der Consultore deutete den Hang hinab, «da haben wir Trebbiano angebaut; sie ergibt einen ganz schönen Weißwein, aber nur, wenn man die Menge sehr begrenzt, das heißt, bereits im Sommer einen Teil der grünen Trauben wegschneidet. Malvasia haben wir gänzlich ausgerissen. Dafür wurde Cabernet Sauvignon gepflanzt. Sehen Sie die neue Anlage, dort weiter rechts? Noch ganz junge Stöcke, jetzt, im fünften Jahr, erwarte ich richtig gute Resultate. Übermorgen beginnen wir auch dort mit der Lese, Cabernet reift spät...»
Frank erinnerte sich an die Weinberge von Niccolò Palermo, um die sich niemand kümmern würde, wenn der Winzer nicht rechtzeitig auftauchen sollte. «Was passiert, wenn die Trauben nicht gelesen werden?»
«Das hängt von vielen Umständen ab, einer davon ist das Wetter. Wenn es regnet, saugen sich die Tauben voll und verwässern den Extrakt; ist es zu trocken, dann ernährt sich der Stock vom Wasser in den Beeren, und der Zuckeranteil steigt – das führt zu Schwierigkeiten bei der Gärung. Der Säureanteil müsste auch sinken ...»
«Danke, danke, das reicht fürs
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