Bitterer Chianti
Erste. Für Sie sind das vermutlich die einfachsten Grundlagen, aber für mich nicht. Wie lange üben Sie diesen Beruf schon aus?»
«Dreißig Jahre. Habe Agrarwissenschaft studiert, ein wenig Chemie, Schwerpunkt Lebensmittel, aber ich fand es eklig, was in den Labors mit unserem Essen veranstaltet wird. Da kann einem schlecht werden. Wenn Sie das sehen, kaufen Sie nur noch beim Bio-Bauern. Für den Chianti Classico gibt es ganz klare und harte Regeln.»
«Wieso wächst hier überall Gestrüpp zwischen den Rebzeilen?», fragte Frank und schloss seine Fototasche. Er bedeutete Scudiere, dass er nach unten gehen wollte.
«Das ist kein Gestrüpp, das nennt sich Dauerbegrünung», korrigierte Scudiere belustigt. «Gras und Kräuter vertrocknen bei einem so heißen Sommer wie diesem.» Er gähnte und folgte Frank den Abhang hinab zu der weiter rechts liegenden Parzelle mit dem Cabernet Sauvignon, die oberhalb eines Olivenhains angelegt worden war.
Frank hatte eben schon bei den Porträtaufnahmen von Scudiere bemerkt, dass er heute noch abgespannter aussah als gestern. Was ging in dem Consultore vor? So unverfänglich wie möglich erkundigte er sich nach Palermo: «Haben Sie letzte Nacht noch etwas erreichen können?»
«Inwiefern?»
«Sie sprachen davon, dass dieser Winzer und sein Sohn verschwunden seien. Sind die beiden wieder aufgetaucht?»
«Wieso interessiert Sie das?»
«Weil – na ja, wenn man hier ist, interessiert man sich eben für das, was in der Gegend passiert.»
«Sie hatten einen Termin mit Palermo, vorgestern, am Nachmittag.»
Scudiere hatte es ganz beiläufig gesagt, doch Frank hörte den vorwurfsvollen Unterton sofort heraus. Er ging weiter, als wäre nichts geschehen, aber er wusste, dass der Consultore auf eine Antwort wartete.
Scudiere konnte es nur vom Consorzio wissen – oder von Signora Palermo. Weshalb also den Termin abstreiten? Was hatte er denen im Büro erzählt? Dass niemand auf der Azienda gewesen sei – oder dass er Palermo telefonisch nicht hatte erreichen können? So war es gewesen! Er hatte ja auch um eine weitere Telefonnummer gebeten. Also war die Antwort klar. Frank blieb stehen und ließ Scudiere herankommen:
«Ich hatte vorgestern keine Zeit. Ich habe mehrmals dort angerufen, aber es hat sich niemand gemeldet.»
«Und wieso haben Sie gestern Abend nichts davon gesagt? Es hätte hilfreich sein können.»
«Wissen Sie, Signor Scudiere, das sind eigentlich Dinge, die mich nichts angehen. Soll ich mich als Fremder hier einmischen? Sie würden sich das verbitten. Ich bin froh, dass man mich in den Kellereien fotografieren lässt und in den Weinbergen und dass Menschen wie Sie mir ihre Zeit opfern. Die Weinwirtschaft in der Toskana scheint mir sowieso sehr familiär. Wo hier die Grenze zwischen Privatleben und Arbeitsalltag verläuft, ist mir nicht ganz klar.»
«Eine Grenze gibt es gar nicht», sagte Scudiere. «In der Landwirtschaft, im Weinbau, bei allem, was mit der Natur zu tun hat, für die Viehzucht gilt das auch, sind Sie immer gefordert, das ist ja das Malheur. Wenn man Spitzenweine machen will, braucht man Arbeitskräfte, die bereit sind, sich auch am Wochenende abzurackern. Oder nehmen Sie sonntags frei?»
«Nein!»
«E allora? Und wenn Sie hier arbeiten, und sei es auch nur für zwei oder drei Wochen, bekommen Sie nur dann ein realistisches Bild, wenn Sie sich einlassen. Vero? No?»
Langsam verstand Frank, wieso Scudiere so mitgenommen aussah. Er engagierte sich, als wären die Weingüter, bei denen er als Berater arbeitete, seine eigenen. Das war zwar lobenswert und wurde wohl auch erwartet, aber anscheinend tat es seiner Gesundheit nicht gut. Möglich, dass er sich zu viel aufhalste oder schnell reich werden wollte. Soweit Frank wusste, rissen sich die Produzenten um die besten Berater, lockten sie angeblich mit Einkommen, von denen er selbst nur träumen konnte, und auch von gewaltigen Ablösesummen war die Rede, wie beim Profi-Fußball.
Mittlerweile waren die beiden Männer am unteren Ende der Parzelle angelangt und folgten dem Weg, der nach rechts zu dem mit Cabernet Sauvignon bepflanzten Weinberg führte. Von hier aus hatte Frank einen offenen Blick an dem Höhenzug entlang bis nach Panzano, das einen malerischen Hintergrund abgab. Das Licht war gerade an der Grenze: so hell, dass er sowohl die Rebstöcke im Vordergrund als auch die Kirchtürme in der Tiefe des Bildes noch im Schärfebereich hatte, aber von einer derartigen Fülle, dass einen die
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