Bitterer Chianti
klang wie eine Drohung.
«Du musst vorher zum Friseur, du solltest dir die Fingernägel machen lassen, die Fußnägel auch. Und dann müssten wir deine Klamotten sichten, äh, die Kleider, die du anziehen willst, ob sie sich dafür eignen.»
«Ein Bikini reicht doch. In der Show ziehen die anderen Mädchen auch nicht mehr an.»
Wenn er sie halb nackt fotografieren würde, hätte sie die nächste Chance, ihn zu kompromittieren. Das Einzige war ... ihm kam die rettende Ausrede: «Ich will, dass deine Mutter dabei ist. Ich fotografiere dich nur, wenn sie dabei ist!»
Laura schaute ihn finster an. Sie begriff, worauf Frank hinauswollte, und wusste genau, dass es dann nicht zu den Aufnahmen käme, die ihr vorschwebten. «Meine Mutter ist viel zu spießig für solche Sachen ...»
«Für welche Sachen?»
«Na ja, so ... freizügige Bilder.»
«Ich auch», sagte Frank. «Dafür musst du dir jemand anderen suchen. Ich mache Qualitätsaufnahmen und keine Sexfotos, aber wenn du nicht willst...»
«Ja, ist schon gut», sagte Laura schnell, «aber ich muss mit Mama reden, wann sie Zeit hat...»
«Dann tu das», sagte Frank und war sich sicher, dass er dann längst über alle Berge oder zumindest im nächsten Ort sein würde. Das war Radda, zentral gelegen und für seine Arbeit hervorragend geeignet. Doch auch da wäre kaum ein Zimmer zu finden. Trotzdem musste er schleunigst hier weg, Laura war unberechenbar, und dann die Prediger ...
Einige Kilometer hinter Vagliagli rissen rechts der Schotterstraße nach Pianella Bagger den Boden auf, und Raupenschlepper planierten ihn für neue Weinberge. Frank hielt an, stieg aus und schaute sich um. Hier gefiel es ihm, und er machte einige Aufnahmen. Pflücker bewegten sich durch die Weinberge, hier und da stand ein kleiner Traktor mit Anhänger oder ein Lieferwagen, in dem die Trauben in die Kellereien gebracht wurden. Erntemaschinen waren nirgends im Einsatz. Dazu waren das Terrain zu steil und die Parzellen zu klein.
Links entdeckte Frank den Wegweiser zum Podere Rondine. Es war das typische Schild der Produzenten von Chianti Classico: brauner Untergrund, gelbe Schrift und das Symbol des Schwarzen Hahns. Ein Weg führte durch ein Wäldchen leicht abwärts, wand sich nach rechts, dann nach links bis zu einer schmalen Schlucht und führte den leicht ansteigenden Hügel hinauf. Auf halber Höhe lag ein alter Bauernhof, das Podere Rondine, der Job für den heutigen Nachmittag. Hier brauchte er nicht lange nach der richtigen Position für die Totale zu suchen. Das Licht würde am späten Nachmittag von rechts kommen, die Sicht war gut, kein Dunst in der Luft, also benötigte er kein Filter, und der Hintergrund stimmte.
Der Himmel über den Hügeln war von einem flachen Blau wie das Wasser des Mittelmeers. Zwei Formationen von Zirruswolken brachten Struktur in die Weite. Über den Dächern der Kellerei kreisten die Schwalben, nach denen der Betrieb benannt war. Es gab ein zweistöckiges Haus mit einer Loggia im Obergeschoss, rechts standen Bäume, dahinter ein langer, etwas höherer Anbau, wahrscheinlich war es das Gebäude mit den Gärtanks. Drei weitere Häuser gehörten zu dem Anwesen, die locker um das Zentrum angeordnet waren. Die alte Umfassungsmauer war nur noch in Bruchstücken vorhanden und von Rosen überwuchert.
«Hier könnte man glauben, dass man mit dem Rest der Welt nichts zu tun hat», sagte der Winzer Renato Benevole, als der Rundgang beendet war und sie in den Keller hinabstiegen. Dort lagerten seine Weine in kleinen und großen Holzfässern aus slowenischer Eiche.
«Ich arbeite mit einer kleinen Mannschaft, die ich nur zur Lese vergrößern muss. Die Neuanlage von Weinbergen überlassen wir Spezialisten. Haben Sie bestimmt gesehen, drüben, auf der anderen Seite, MV-Leasing, die mit den Baggern. Ansonsten haben wir in unserer Welt alles, was wir brauchen. Wir wohnen hier, arbeiten hier, meine Frau hat ihre Kinder nicht in der Klinik bekommen, sondern der Arzt und die Hebamme sind hergekommen. Wir bauen Obst und Gemüse an, nur nebenbei, doch es reicht ... Unsere Welt ist klein, friedlich und überschaubar. Aber dann gibt es noch die Welt da draußen, der Markt, die Konkurrenz, internationale Messen, Kredite, das Finanzamt...»
«Sie sind hier aufgewachsen?» Eigentlich erübrigte sich die Frage nach alldem, was Renato Benevole erzählt hatte.
«Nein, in Bologna», erwiderte Benevole. «Meine Eltern hielten nichts von Landwirtschaft oder vom Weinbau. Ich sollte
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