Bitterer Chianti
meine Freundin belästigen, dann trete ich Ihnen auf die Nase, ist das klar? Capito tutto?»
«Aufstehen, los, ein bisschen schneller!», befahl der Commissario. «Wir fahren zur Wache.»
Die beiden Polizisten hoben Frank, obwohl er größer war als sie, wieder auf die Füße, drückten ihm ein Taschentuch in die Hand und schoben ihn vor sich her zu einem zivilen Wagen. Zehn Minuten später saß er auf demselben Stuhl wie vorgestern, nur dass er sich heute zwei Polizisten gegenüber sah und mit Toilettenpapier versuchte, das Nasenbluten zu stoppen.
«Kennen Sie Niccolò Palermo?»
«Nein.»
«Wieso waren Sie dann mit ihm verabredet, wie es hier im Protokoll steht?»
«Weil ich sein Weingut fotografieren sollte.»
«Wieso wollten Sie das Gut fotografieren, wenn Sie es nicht kannten?»
«Weil es auf meiner Liste steht, die mir der Verlag gegeben hat. Den Termin hat das Consorzio festgelegt.»
«Was haben Sie oben auf dem Berg gemacht?»
«Ich wollte das Gut fotografieren.»
«Wieso von oben und so weit weg?»
«Weil eine Totale, eine Gesamtaufnahme, dazugehört – sagen Sie, was soll das eigentlich hier, das habe ich alles schon ihrem, ihrem ...» Frank wollte keinen weiteren Schlag auf die Nase riskieren, deshalb hielt er lieber den Mund. Das Toilettenpapier war inzwischen blutgetränkt.
«Hol ihm noch was», sagte der Commissario zu seinem Untergebenen, «sonst saut er uns alles ein.» Und Frank zugewandt, fragte er: «Haben Sie einen Beweis, dass Sie da oben niedergeschlagen wurden?»
«Von wem? Von Ihnen?»
«Wenn hier einer witzig ist, dann bin ich das, du Paparazzo. So, und nun mach endlich den Mund auf. Wo ist Niccolò Palermo? Wo ist sein Sohn?»
Frank sah den Commissario vor sich, sein breites, unangenehmes Gesicht, gewöhnlich und dumm, deshalb saß er wahrscheinlich in Castellina fest und wurde nicht befördert.
«Ich weiß es nicht. Ich will einen Anwalt.»
Der Commissario lachte. «Einen Anwalt will der Signore? Ah, jemand, der seine Rechte kennt. Die Anwälte schlafen jetzt alle, leider. Pech für Sie. Also nochmal: Waren Sie auf dem Hof?»
«Nein, verdammt, ich bin gar nicht dazu gekommen, er war auch gestern Morgen nicht da, als ich dort oben mein Handy gesucht habe.»
«Also waren Sie doch da. Sie lügen, das wissen wir, Sie Schlaumeier, Sie sind gesehen worden. Auch wenn es alles einsam aussieht, irgendwer ist immer unterwegs. Wo waren Sie gestern tagsüber?»
In dieser Art ging es weiter, sie drehten sich im Kreis. Frank merkte an der Fragestellung des Commissario, dass er ihn einschüchtern wollte. Es ging gar nicht um das Verschwinden von Niccolò Palermo und seinem Sohn. Und der junge Polizist war anscheinend Lauras Freund, bei dem sie mit den Aufnahmen angegeben hatte.
Als Frank eine halbe Stunde später auf der Straße stand, über sich die Sterne, und die laue Luft tief in sich einsog, meinte er, aus einem Albtraum aufgewacht zu sein. Aber als er sich die Nase rieb und das klebrige Blut an der Hand fühlte, hatte er das ungute Gefühl, dass der Auftritt eben nicht die Schlussszene eines Dramas war, sondern erst die Ouvertüre.
5
Donnerstag, 30. September
«Friedlich? Nein! Die Bewohner der Toskana sind nicht friedlich. Wir sind hart, Krieger sind wir! Man muss frühzeitig unterscheiden lernen: Wer ist dein Freund? Wer ist dein Feind? Das ist eine Frage des Überlebens.»
Marco Malatesta reckte sich und wirkte dadurch noch größer. Der Winzer war für einen Italiener geradezu ein Riese, er hatte etwas von einem Baum, er wirkte knorrig, aber grau wie der Stamm waren nur seine Augen. Frank beschloss, den Winzer unter einem seiner Ölbäume und nicht im Weinberg zu porträtieren.
Seine Fattoria Tre Querce lag auf der Kuppe eines Hügels, und Malatesta beobachtete von oben, wie Stefano Scudiere weiter unten durch die Rebzeilen ging und den Reifegrad der Trauben prüfte. Er träufelte etwas Traubensaft auf die abgeflachte Spitze des Spektrometers und hob das Röhrchen ans Auge. Die Lichtbrechung sagte ihm den Zuckergehalt der Beeren, aber nichts über ihren physischen Reifegrad.
«Sonst verlässt er sich lieber auf seine sensorischen Fähigkeiten», sagte Malatesta, und Frank hatte den Eindruck, dass er damit gar nicht einverstanden war. «Er will morgen mit der Lese beginnen, die Geschmacksstoffe im Wein haben angeblich ihr Optimum erreicht. Ich will lieber noch einen Tag länger warten, mir ist der Zuckerwert noch nicht hoch genug, um einen Wein mit 13,5 Prozent
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